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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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konnte er überhaupt nicht vertragen. Längst hielt er sich für den rechtmäßigen Besitzer dieser Wurst und fand es eine Sauerei, von den eigenen Leuten beklaut zu werden.
    Einen Teil der geklauten Ware schickte er auch an seine Oma in Süddeutschland.
    Tagsüber schlief er meist, nachts zog er los, um irgendwelche Geschäfte in Lichtenberg zu plündern. Einmal brachte er eine linke Hausbesetzerin aus der Mainzer Straße angeschleppt. Er fesselte sie an einen Stuhl und begann damit, sie zu verhören. Als ich in sein Zimmer trat, saß er an einer Schreibmaschine und tippte. Er drehte sich zu mir um und sagte im perfekten Polizeijargon: »Ich habe die Gefangene zugeführt.« Er hatte offensichtlich Freude daran, auch einmal die Rolle des Vernehmers spielen zu dürfen. Später hing ein Schild an seiner Tür: »Vernehmung, bitte nicht stören.« Stinki nahm das Verhör sehr ernst, gelegentlich hörte ich ihn schreien: »Ich kann auch anders!« Da meine Wohnung neben seiner lag, verstand ich immer wieder den Satz: »Das hättest du dir früher überlegen müssen!« Um fünf Uhr morgens ließ er die Frau endlich auf mein Drängen hin wieder laufen. Ich mußte ihm erst klarmachen, daß auf Menschenraub eine ziemlich lange Haftstrafe steht.
    Mit der Hierarchie im Hause hatte er wenig im Sinn. Einmal geriet er mit Küssel in einen heftigen Streit. Am Ende klebte an Küssels Tür ein Schild: »Ausländer raus«. Wutentbrannt rannte der Österreicher durch das Haus, aber die meisten der Bewohner fanden das eher witzig, Küssel spielte sich für viele zu sehr als Chef auf.
    Selbst Kühnen mußte sich Stinkis Willen beugen. Während Kühnen sich mühte, zwei Journalisten der BBC London ein Interview zu geben, dröhnte Stinkis Verstärker. Kühnens höchstpersönliche Bitte, die Musik leiser zu stellen, überhörte Stinki einfach. Da war nichts zu machen.
    Immer wenn Stinki und ich Kühnen im Hausflur trafen, flüsterte Stinki: »Immer mit dem Arsch an der Wand bleiben, wenn der Führer kommt.« Konnte er jemanden gut leiden, so durfte der sich manches mit ihm erlauben. Einmal begleitete ihn der Regisseur Winfried Bonengel während der Dreharbeiten zu seinem Film »Wir sind wieder da« bei einem Besuch seiner Eltern. Auf der Rückfahrt tranken sie in einer Autobahnraststätte einen Kaffee. Ständig schlug ihm Bonengel mit der Hand auf die Glatze und schrie ihn an: »Benimm dich, du Flegel!« Stinki hatte Spaß an diesem Spielchen. Ein anderes Mal, bei einem Wehrsportlager, hatte Stinki den gleichen Spaß daran, mit einem Gewehr auf den Filmregisseur zu schießen. Stinki verschaffte es Befriedigung, Leute zu quälen.
    Wenn es ihm in der Weitlingstraße zu langweilig wurde, verkleidete er sich als Autonomer und mischte zum Beispiel bei der Räumung der Mainzer Straße mit. Dort warf er als Vermummter, zusammen mit den Linken, Steine auf die Polizisten. Er agierte aus Launen heraus, und von Planungen hielt er nichts.
    Eines Nachmittags bat er mich um einen Gefallen. Ich sollte ihn mit dem Auto irgendwohin bringen.
    »Wohin denn?«
    »Fahr los, ich sag’s dir unterwegs.«
    Nach kurzer Fahrzeit verlangte er, anzuhalten. Er stieg aus, verschwand in einem Lebensmittelgeschäft und kam nach einem Moment wieder herausgestürmt, die geklaute Ware unter dem Arm. »Stell den Motor an und los!« brüllte er.
    Ich brüllte zurück: »Hast du sie noch alle?«
    Er grinste.
    Einmal, Weihnachten, stand er vor meiner Tür und schenkte mir lachend einen Videorecorder: »Fröhliche Weihnachten!« Später erfuhr ich, daß er das Gerät bei einem Bekannten in der Wohnung hatte mitgehen lassen. Dabei soll er dem in einem Handgemenge dessen eigene Baseballkeule über den Kopf gezogen haben. Ein anderes Mal erzählte er, wie er durchs Fenster in die Wohnung eines Skinheads eingestiegen war, sich in der Küche an den Tisch gesetzt und sich in aller Ruhe einen Kaffee gebrüht habe. Dann sei er ins Nebenzimmer gegangen und habe Licht gemacht. Der Wohnungsinhaber sei langsam wach geworden und habe Stinki erkannt, obwohl der sich mit seinem Pullover vermummt hatte. Stinki sei auf ihn zugegangen, habe ihn auf den Kopf geschlagen und ganz ruhig gesagt: »Schlaf weiter.« Dann habe er dessen Fernseher gepackt und wahrend der Skinhead sich nicht rührte, sei er aus der Wohnung verschwunden, wie er gekommen war.
    Ab und an brachte er Frauen mit, wenn sie sich wehrten, mit ihm zu schlafen, zwang er sie, wenigstens seine Wohnung sauberzumachen. Auch einen

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