Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Kühnen wollte sich ja gelegentlich sogar mit linken Autonomen verbinden, um gemeinsam mit ihnen den Staat »platt zu machen«. Hasselbach selbst führte entsprechende Vermittlungsgespräche, wurde aber schließlich von den Autonomen abgewiesen, die eine Falle Kühnens witterten.
Als Rebell gegen die als tyrannisch erlebte Staatsmacht stieg er in den Spuren Kühnens zum Anführer der »Nationalen Alternative« auf. Aber dann kamen Rostock, Hünxe und Mölln und die Erkenntnis, daß dies keine Pannen waren, sondern konsequente Ergebnisse des vermeintlich gerechten Aufstandes. Es ging ihm auf: Er hatte es nicht mit rebellischen Märtyrern zu tun, sondern mit Banden, die mit Terror über Schwächere herfielen. Antiautoritärer Kampf war seine Sache gewesen, nicht aber die Verfolgung von ohnehin benachteiligten und geängstigten Asylbewerbern und Fremden. So wurde er zum Abtrünnigen, wobei ihm Winfried Bonengel und seine tapfere Freundin zur Seite standen.
Aber dann ist er wie jeder, der aus einer fanatisierten, sektenartigen Gruppe entflieht, erst einmal ins Nichts gefallen. Denn von der Welt außerhalb der Organisation hatte er jahrelang völlig getrennt gelebt. Sein Buch, mit dem er die Endgültigkeit seines Bruches mit der Szene auch vor sich selbst beweisen wollte, brachte ihm die eine oder andere Einladung durch interessierte Kulturkreise, auch durch die Medien ein. Aber diese punktuellen Angebote änderten nichts an seiner Isolation in alltäglicher Gefährdung. Das Bundeskriminalamt verdächtigte ihn gar, das gegen ihn gerichtete Briefbombenattentat selbst inszeniert zu haben. In dem Szene-Info »NS-Denkzettel« wurde vorsorglich schon sein Tod gemeldet. Dennoch verweigerten ihm die Sicherheitsbehörden jede Schutzmaßnahme. Was nur unternommen werden konnte, etwaige andere Aussteigewillige aus der rechtsextremistischen Szene abzuschrecken, wurde getan.
Darüber ist nachzudenken. Warum fällt es der Gesellschaft schwer, einen wieder hilfreich aufzunehmen, der das tut, was die Mehrheit doch angeblich so sehnlich wünscht, nämlich daß Aktivisten der Neonazi-Szene den Rücken kehren? Warum bleibt es beim Interesse an der spannenden Geschichte, warum ist den Sicherheitsbehörden anscheinend die Sicherheit dessen nichts wert, dem sie einen Erfolg zu danken haben, an dem sie selbst keinen Anteil haben?
Ich habe in einer Rede an der Frankfurter Universität zu »Psychoanalyse und Rechtsradikalismus« über das Schicksal Ingo Hasselbachs berichtet. Es war eine alte verfolgte Jüdin, die anschließend das Publikum zu einer Resolution mit der Forderung an die Bundesanwaltschaft bewog, den Aussteiger zu schützen, anstatt weiterhin seine Verfolgung zu betreiben. Kurz danach wurde ihm daraufhin tatsächlich mitgeteilt, daß man das Verfahren gegen ihn wegen Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nun endlich eingestellt habe.
Aber in jener Rede habe ich auch noch eine andere Bemerkung gemacht. Man kann die Biographie Ingo Hasselbachs auch so lesen: Da ist einer von uns Guten durch ein böses Kind-heits- und Jugendschicksal in eine uns allen zutiefst fremde und verabscheuungswürdige Szene hineingetrieben worden, aus der er jetzt endlich dahin zurückgekehrt ist, wohin er eigentlich schon immer gehörte, nämlich zu uns guten und gerechten Anti-Nazis. Aber wer solche Nähe zu dem jungen Mann verspürt, sollte doch auch den Gedanken zulassen, daß die Verführer, die Ingo Hasselbach für die Neonazi-Szene angeworben haben, ihre Macht aus einem Gedankengut schöpfen, das über die Generationen hinweg hinter allen Tabus noch unter uns lebendig geblieben ist. Wenn so wenig aktive Hilfsbereitschaft zu erkennen ist, so einen wieder in die demokratische Gemeinschaft aufzunehmen, ist das nicht nur befremdlich, sondern vielleicht auch in gewisser Hinsicht verräterisch. Eine psychoanalytische Deutung kann lauten: Jene rechtsextreme Szene enthält noch mehr, als man es wahrhaben will, von inneren Anteilen einer Vielzahl von »Guten«, die, was sie in sich selbst unterdrücken, draußen halten wollen, das heißt in der Projektion auf die aktiven Neo-Nazis. Ein junger Rechtsextremist, der das verstand, sagte in eine Fernsehkamera hinein: »Wir machen doch nur mit der Hand, was ihr im Kopf denkt.« So rührt der Erfolg dieses Buches ja gewiß nicht einzig von dem dramatischen Schicksal der Hauptfigur her, sondern auch von der erweckten Faszination durch die Neonazi-Szene, von deren Exponenten und Interna
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