Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Erfolge dieser Art die nationalsozialistische Gemeinschaft stärken und dazu beitragen, den roten Pöbel ein für allemal von der Straße zu fegen. Gleichzeitig gab er uns in seinem Brief zu verstehen, trotz dieser Erfolge doch auch »unsere ausländischen Mitbürger nicht zu vernachlässigen«.
Meinem Freund Stinki mußte man solche Dinge nicht zweimal sagen. Mehrmals in der Woche zog er mit anderen Hausbewohnern los, um auf dem Bahnhof Lichtenberg Ausländer zusammenzuschlagen, ich hab’ darüber schon geschrieben. Stinki sagte nur: »Ich muß den Bahnhof säubern, wer kommt mit?« Auch wenn er sagte, er gehe Zigaretten holen, wußten wir alle, was gemeint war: Er ging zum Bahnhof, verprügelte einen oder mehrere vietnamesische Zigarettenverkäufer und nahm ihnen anschließend ihre Ware ab. Nach ein paar Monaten gaben ihm die Vietnamesen freiwillig jede Woche drei Stangen Zigaretten, damit er sie in Ruhe ließe. Stinki hielt sich an diesen Vertrag, wenn aber neue Gesichter auftauchten, wurden die erst ein paarmal verprügelt, bis sie bereit waren, ihre »Schutzgebühr« zu zahlen.
Einmal drehten wir mit einem französischen Fernsehteam auf dem Bahnhof Lichtenberg. Die Journalisten interviewten mich und Stinki, während wir über den Bahnhof gingen. Auf der Treppe kamen uns drei vietnamesische Zigarettenhändler entgegen, die Stinki sehr freundlich grüßten. Stinki grüßte ebenso freundlich zurück und sagte dann zu den verdutzten Journalisten: »Sehen Sie, das ist doch alles Blödsinn mit dieser Ausländerfeindlichkeit. Wir hier in Lichtenberg helfen uns im Gegenteil untereinander.« Die Franzosen glaubten ihm diesen Blödsinn und sendeten die Szene im französischen Fernsehen.
Neben den täglichen Prügeleien auf dem Bahnhof nahmen wir uns einen ersten Überfall auf ein Asylbewerberheim vor. Wir ließen uns dafür Zeit und planten unser Vorgehen sorgfältig. Wir wählten das unweit gelegene Heim im Hans-Loch-Viertel in Lichtenberg aus, das wir im Juni mit ungefähr einhundertfünfzig Leuten überfielen. Wir warfen Steine und Molotowcocktails auf das Haus. Einige Glatzen waren damit beschäftigt, Flugblätter, beschrieben mit der Parole »Ausländer raus«, an die Häuserwände zu kleben.
Fünfzig Polizisten sahen uns zu, ohne Anstalten zu machen, einzugreifen und unsere Aktivitäten zu verhindern. Einer der Beamten, der mich offensichtlich gut kannte, fragte mich jovial: »Was wird denn das nun wieder, Hasselbach? Sie haben doch wirklich nichts begriffen!« Die Ostberliner Zeitung »Junge Welt« machte allerdings den »Gauleiter« von Salzburg, Günther Reinthaler, für die Planung und die Inszenierung dieses Angriffs verantwortlich.
Stinki
Der zweiundzwanzigjährige Stinki kam aus einem Dorf in der Nähe von Emsdetten. Sein Vater ist Buchhalter, er selbst hat Friseur gelernt. Eines Tages stand er in unserer Haustür. Er hatte von der Existenz der Weitlingstraße aus der Zeitung erfahren. Nach drei Tagen hatte man den Eindruck, als ob er nie woanders gelebt hätte. Stinkis Spitzname kam daher, daß es, wenn er in einem Zimmer war, dort nach kurzer Zeit schon ziemlich streng roch. Weder der Geruch, den der verströmte, noch sein Spitzname störten ihn allzusehr. Auf die Idee, sich einmal öfter zu waschen, kam er jedenfalls nicht.
Streng genommen war Stinki eigentlich alles andere als ein Nazi. Er stand auf Öl-Musik und die alte Skinkultur, und am ehesten konnte man ihn als einen Anarchisten bezeichnen, der sich dessen nicht bewußt war, Interviews ließ er sich immer gut bezahlen und erzählte dafür auch jeden Scheiß, zum Beispiel, daß man den Führer demokratisch wählen müsse und dann sei er eben der Führer. Politik und Ideologie interessierten ihn überhaupt nicht. In unserem Haus war er bei fast jedem beliebt.
Stinki klaute wie ein Rabe. Er ließ mitgehen, was nicht niet-und nagelfest war. In der Nähe gab es eine Fleischerei. Eines Nachts brach Stinki dort ein und schleppte sämtliches Fleisch und alle Wurst zu uns in die Weitlingstraße. Das Hin-und Herlaufen dauerte Stunden. Auch ein Spanferkel war dabei. Als ihn am anderen Morgen ein Skin wecken wollte, war er sauer: »Ich hab’ die ganze Nacht für die Bewegung gearbeitet, laß mich in Ruhe!« Am Nachmittag machte er eine sehr sorgfältige Bestandsaufnahme und zählte sein Diebesgut durch. Er notierte alles ganz genau und verteilte einen Teil der Beute sofort. Ich bekam die besten Stücke. Ein paar Leute beklauten ihn ihrerseits, das
Weitere Kostenlose Bücher