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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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Gewehrläufe und erschrak. Aus der Gruppe heraus fragte mich der Einsatzleiter des Sonderkommandos der Polizei nach meinen Personalien. Ich nannte meinen Namen und bestätigte ihm, daß ich der Leiter dieser Versammlung sei. Darauf erklärte der Polizist, er wäre hier, um Herrn Kühnen zu verhaften.
    »Dann gehen Sie doch rein und holen ihn raus«, entgegnete ich ihm trotzig.
    »Nein, nein, das machen wir jetzt mal ganz anders. Hier, das ist der Haftbefehl, Sie gehen zurück und bringen uns den Herrn Kühnen.«
    Ich nahm das Papier, ging wieder in den Saal und übergab es Kühnen. Der verlas den Haftbefehl mit großer Routine und ohne vorher einen Blick darauf geworfen zu haben, so, daß alle Anwesenden ihn gut hören konnten. Der Saal begann augenblicklich zu toben. Kühnen lächelte und sagte in aller Ruhe zu mir: »Geh bitte noch mal raus und hol alle Presseleute rein.«
    Ungefähr einhundert wartende Journalisten strömten in den Saal. Fotoblitze zuckten, und alle Delegierten gebärdeten sich jetzt erst recht wie wild. Kühnen war es gelungen, seine Festnahme zu einem medienwirksamen Ereignis zu gestalten. Er hatte erreicht, was er wollte. Der Parteitag wurde verboten, aber die Zeitungen und das Fernsehen waren am nächsten Tag voll davon. Der Zwischenfall war durch Kühnens Geschicklichkeit und die Gier der Medien erfolgreich zum Ereignis hochstilisiert worden. Ich freute mich, daß ich doch keine Rede halten mußte.

Unterwegs nach Wunsiedel
    Ein paar Wochen später fuhr ich zusammen mit einem »Kameraden« aus Hamburg auf eine »Dienstreise« nach Barcelona, um mich mit Pedro Varela, dem Chef der spanischen Faschistenorganisation CEDADE zu treffen. Es ging dabei in erster Linie darum, sich kennenzulernen und die spanischen Faschisten zum Rudolf-Heß-Gedenkmarsch nach Wunsiedel, wo Heß begraben liegt, einzuladen. Diese Fahrt wurde aus der Parteikasse der »Nationalen Eiste« in Hamburg bezahlt. Die »Nationale Eiste« wurde fast ausschließlich von Christian Worch finanziert, und das ist bis heute so geblieben. Worch organisiert und bezahlt die meisten Neonazikundgebungen in Deutschland, unter anderem auch den jährlichen Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel, das seit dem Tode des Hitler-Stellvertreters im Jahre 1987 zum Mekka für Nazis aus aller Welt geworden ist. 1990 nahm ich mit meiner großen Gruppe ostdeutscher Neonazis zum erstenmal am bisher größten Naziaufmarsch nach dem Kriege teil.
    Am 16. August 1990 fuhren wir nachts um elf von Berlin aus mit fünf gemieteten Reisebussen los. Den ersten Zwischenfall konnte ich vermeiden, ehe die Fahrt überhaupt begann. Oliver Schweigert, Westberliner Mitglied der »Nationalen Alternative«, hatte den Auftrag, die Fahrt zu begleiten. Er war auf die Idee gekommen, alle Fahrgäste, einschließlich der teilnehmenden Hooligans, vor dem Einsteigen in den Bus nach Waffen zu durchsuchen. Schweigen fragte mich, ob ich mit meiner Autorität diese Aufgabe übernehmen könne. Er selbst scheute sich, das zu tun, er hatte offensichtlich Angst. Jonny, einer der bekannteren Hools, nahm mich zur Seite und machte mir unmißverständlich klar, daß es hier nicht einen einzigen Hooligan gäbe, der freiwillig bereit wäre, seinen Leuchtstift abzugeben. Ich beruhigte Jonny und konnte ihn gerade noch davon abbringen, Schweigen kurzerhand niederzuschlagen.
    Schon nach vierzig Kilometern legten wir an einer Autobahnraststätte auf Wunsch der Hooligans eine Pause ein. Als wir aus den Bussen stiegen, schrie einer der Hooligans sofort los: »Deutsche, laßt uns plündern!«
    Ungefähr dreihundert Leute rannten auf die zu dieser nächtlichen Stunde geöffnete Kaufhalle zu. Das Verkaufspersonal schien schon einmal Bekanntschaft mit den Hools gemacht zu haben, denn alle Angestellten verließen panikartig den Verkaufsraum. Die Hooligans bedienten sich sofort und ohne Skrupel. Sie räumten Alkohol und Zigaretten, aber auch Stereorecorder und CD-Player aus den Regalen in Kartons.
    Die Polizei stand in sicherer Entfernung und beobachtete das Geschehen mit dem Fernglas. Was sollte diese eine Streifenwagenbesatzung gegen dreihundert bewaffnete Jugendliche unternehmen?
    Die Fahrer sahen fassungslos zu, wie die Hooligans die geklauten Sachen in ihre Busse schleppten. Einer von den Jugendlichen ermahnte einen der Fahrer: »Glotz nicht so blöd und fahr los, du Penner!«
    Nach einer Viertelstunde überholte uns eine Kolonne von Polizeiwagen mit Blaulicht. Wir wurden gezwungen, auf dem nächsten

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