Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Neonazis, mit denen er sich beschäftigt, von seiner rechten Gesinnung abzubringen. Heinisch ist kaum älter als die Mehrzahl der rechtsorientierten Jugendlichen, mit denen er arbeitet. So lobenswert seine Initiative ist, er überschätzt seinen Einfluß und seine Möglichkeiten beträchtlich. Es kann ihm nicht gelingen, mit seinem Projekt »kampferprobten Nationalsozialisten« eine Lebensalternative zu bieten. Er wäre besser beraten, sich in seiner Arbeit mehr mit gefährdeten und noch ungefestigten Jugendlichen, potentiellen Gewalttätern in der Altersgruppe zwischen dreizehn und achtzehn Jahren, zu beschäftigen - eine Riesengruppe, in der bei vielen eine demokratische Grundhaltung ohne Neigung zur Gewalt noch zu erreichen wäre.
Straßenschlacht in der Pfarrstraße
Manche meiner alten Freunde aus dem Pfarrstraßenprojekt des Michael Heinisch sind heute zum Beispiel so fanatisiert, daß ich von ihnen nach meinem Ausstieg massive Morddrohungen erhielt. Heinisch hat das Gewaltpotential einiger seiner Projektteilnehmer eindeutig unterschätzt.
Im Oktober 1991 wurde ein Brandanschlag auf unser Haus verübt, bei dem das Treppenhaus vollständig ausbrannte. Die autonome »Antifajugendfront« übernahm in einem Bekennerschreiben, abgedruckt in der Berliner »Tageszeitung«, für diese Aktion die Verantwortung. Trotz dieser Vorfälle tranken wir am Tage des Richtfestes, von Heinisch leichtsinnigerweise in der Pfarrstraße 108 organisiert, jede Menge Alkohol. Ohne den TAZ-Artikel zu kennen, war uns klar, wer für den Brandanschlag verantwortlich zu machen war. Wir stellten einen linken Hausbesetzer, der draußen vorbeiging, zur Rede. Noch während dieser Unterredung wurde einer meiner Freunde von einem Stein im Gesicht getroffen. Jemand sah den Steinewerfer auf das gegenüberliegende, von Autonomen besetzte Haus zurennen. Einer von uns lief ihm hinterher und schlug ihn nieder. Nun eskalierte das Geschehen und wuchs sich zu einer regelrechten Straßenschlacht aus, bei der es etliche Schwerverletzte gab. Einer kam sogar mit einer Motorsäge. Heinisch gelang es im letzten Moment, den Mann zu beruhigen und ihm die Säge abzunehmen. Wie so oft zuvor, sah die herbeigerufene Polizei zunächst aus sicherer Entfernung zu, obwohl auch junge Frauen zu den Verletzten gehörten.
Als die gewalttätigen Auseinandersetzungen beendet waren, mußten viele der Beteiligten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ich selbst hatte einen ausgekugelten Oberarm, ein zerfetztes Augenlid, ein kaputtes Sprunggelenk, und es bestand der Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma. Noch auf dem Röntgentisch wurde ich verhaftet.
Sechs Stunden später wurden Frank Lutz, Mike Prötzke und ich wieder freigelassen und zur weiteren Behandlung ins Krankenhaus zurückgebracht. Am Abend wurden wir von dort entlassen.
Am nächsten Vormittag gingen Frank Lutz und ich wie selbstverständlich durch die Pfarrstraße zur Arbeit. Die linken Hausbesetzer waren gerade dabei, die Reste ihrer von der Straßenschlacht gezeichneten Autos wegzubringen. Die Autonomen sahen uns fassungslos an. In der Pfarrstraße 108 trafen wir auf einen völlig niedergeschlagenen Michael Heinisch. Ich begann sofort, mich über die Linken von gegenüber aufzuregen. Der Diakon machte nicht den Eindruck, als ob er sich mit uns darüber unterhalten wollte: »Ihr seid alle suspendiert. Wir treffen uns in einer Woche wieder und werden dann beratschlagen, wie es hier im Projekt weitergeht.«
Heinisch schien den Tränen nahe. Frank Lutz und ich sahen keinen Grund zur Trauer. Sämtliche Berliner Zeitungen berichteten an diesem Tag über die Krawalle in Lichtenberg.
Am 19. Oktober 1991 fand dann die große Krisensitzung in der Pfarrstraße 108 statt. Heinisch redete vor allen Projektteilnehmern um den heißen Brei herum. Jedem von uns war klar, was passieren würde. Alle außer Frank Lutz, Mike Prötzke und ich wurden nach Heinischs Rede rausgeschickt. Dann eröffnete er uns, wir seien aus dem Projekt entlassen. Zur Begründung für seine Entscheidung führte er an, wir drei waren die Rädelsführer der Straßenschlacht gewesen, obwohl er genau wußte, daß das nicht stimmte. - Ein paar Monate später gab Heinisch in einem Interview zu, er habe uns wegen des starken Drucks seitens der linken Hausbesetzer von der gegenüberliegenden Straßenseite aus dem Projekt geschmissen.
Nun waren wir wieder frei von allen Verpflichtungen, und ich hatte wie schon so oft das Gefühl, es ist sowieso alles egal und
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