Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
natürlich, daß ich ihn nicht ernst nahm, und verwickelte mich deshalb, um sich meine Sympathie zu erwerben, immer häufiger in Gespräche. Das ging mir auf die Nerven, aber ich riß mich zusammen, ich wollte meinen Arbeitsplatz nicht so schnell wieder verlieren. Heinisch war auf sein Sozialprojekt dermaßen stolz, daß er den Blick für die Realität nach und nach verlor. Die Autonomen beschossen uns regelmäßig mit Luftgewehren und mit Buttersäure. Trafen wir einen von ihnen irgendwo in Lichtenberg, schlugen wir ihn regelmäßig zusammen. Solche Auseinandersetzungen fanden täglich statt, aber Heinisch schien nicht viel davon mitzubekommen. Das, was wir tagsüber aufgebaut hatten, zerstörten die Autonomen regelmäßig in der Nacht wieder.
Im Mai kam es zu den ersten Straßenschlachten in der Pfarrstraße. An einem Wochenende zog ein Trupp betrunkener Rechtsradikaler von einer nahegelegenen Diskothek in Richtung Pfarrstraße 108. Die Skinheads warfen Fensterscheiben der besetzten Häuser ein und zündeten mehrere Autos an. Durch diesen Zwischenfall wurde der Haß noch einmal kräftig geschürt.
Ich war über den Angriff meiner Leute selbst wütend, ich arbeitete in der Pfarrstraße und wollte meine Ruhe haben. Deshalb war ich sogar aus der »Nationalen Alternative« ausgetreten, auch um die Autonomen etwas zu beruhigen. Dennoch sahen die linken Hausbesetzer stets in mir den Initiator der Gewalt gegen sie. So ging ich immer seltener zur Arbeit und erhielt bald meine erste Abmahnung.
Rainer Sonntag - Tod eines »Sheriffs«
Im Juni 1991 gründete ich mit Frank Lutz und Mike Prötzke eine neue, diesmal namenlose »Kameradschaft«. Mit dieser »Kameradschaft« nahmen wir im gleichen Monat am Trauermarsch für Rainer Sonntag in Dresden teil. Diese Veranstaltung gestaltete sich zum größten Aufmarsch von Neonazis in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Sonntag war der Chef der Dresdner Neonazis gewesen. Bereits vor der Wende hatte er in Frankfurt am Main gewohnt, dort Michael Kühnen kennengelernt und Ende der achtziger Jahre bei Landtagswahlen für die »Nationale Sammlung« kandidiert. Die »Nationale Sammlung« war jedoch vom hessischen Innenminister verboten worden. Michael Kühnen selbst hat mir erzählt, daß Sonntag in Kreisen der Frankfurter Unterwelt als Zuhälter bestens bekannt gewesen sei, er soll auch nach Kühnens Aussage Gelder aus der Parteikasse der »Nationalen Sammlung« entwendet haben. In der Frankfurter Szene war der Dresdner Führer immer umstritten, deshalb ist er nach dem Fall der Mauer nur zu gern nach Dresden »zurückgeflüchtet«. Dort baute er eine »Sächsische Schutzstaffel« auf und machte sich bei der Bevölkerung einen Namen, als er mit seinen Leuten die dortigen Hütchenspieler in Handschellen legte und zur Polizei brachte. Die lokale Polizei war über Sonntags Eigeninitiative sehr erfreut, einer der Polizisten so sehr, daß er Sonntag in seiner dienstfreien Zeit aus Dankbarkeit durch die Stadt chauffierte. Innerhalb kürzester Zeit hatte Sonntag zur lokalen Polizei die besten Beziehungen. Es gelang ihm, im Oktober 1990 eine Großdemonstration gegen die Drogendealer in der Stadt zu organisieren. Anläßlich dieses Ereignisses versammelte sich der gesamte Führungsstab der deutschen Neonazis in Dresden. Die Polizei zeigte sich ungewöhnlich kooperativ, sie ließ sich sogar auf Absprachen mit Kühnen ein. Der Einsatzleiter der Polizei hatte zugesichert, daß er die Demonstration bei Störungen durch Autonome selbstverständlich mit seinen Kräften schützen würde: »Wir sind ja auch noch da, Herr Kühnen!« Als ein Journalist die Polizei aufforderte, etwas gegen die Leute zu unternehmen, die am Bahnhof in aller Öffentlichkeit den Arm ausstreckten und »Heil Hitler« riefen, entgegnete ihm ein Polizist, er sehe hier niemanden, der »Heil Hitler« riefe.
Rainer Sonntag fühlte sich bald als der »Sheriff von Dresden«. In Fernsehinterviews behauptete er, die ganze Stadt Dresden stehe hinter ihm und er führe nur aus, was alle wünschten: die Stadt von Drogendealern, vom Glücksspiel und von der Prostitution zu reinigen.
Diese Reden hinderten ihn allerdings nicht daran, von den Zuhältern in altgewohnter Weise Schutzgelder zu erpressen. Den Bordellbesitzern drohte er, im Falle der Zahlungsverweigerung werde er ihre Läden »plattmachen«. Bei dem Griechen Simeonides hatte er sich allerdings verkalkuliert: Der und ein anderer machten mit dem Neonazichef kurzen Prozeß.
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