Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Aus einer Entfernung von zwei Metern erschossen sie ihn mit einem Schrotgewehr, das er ihnen zuvor kurioserweise selbst verkauft hatte.
Auf einem Führungsthing wurde beschlossen, Rainer Sonntag zum Märtyrer zu machen. Christian Worch sagte: »Es ist jetzt völlig uninteressant, was da alles passiert ist. Wir haben einen neuen Märtyrer zur rechten Zeit.« Und Nero Reisz äußerte mir gegenüber: »Ich konnte den Typ sowieso nie leiden, jetzt ist er tot und auch noch ein Märtyrer. Das ist doch für einen kleinen Zuhälter gar nicht so schlecht. Was will er mehr?« Auf jeder Naziveranstaltung tauchen seitdem Transparente auf: »Rainer Sonntag - Märtyrer für das Reich«.
Als ich beim Trauermarsch den »Lichtenberger Block« anführte, waren mir diese Fakten zwar alle bekannt, zu meiner heutigen kritischen Haltung hingegen hatten sie sich längst nicht verdichtet, im Gegenteil, noch überwog ein trotziges »Jetzt gerade erst«.
Natürlich brachten auch die Autonomen in der Pfarrstraße in Erfahrung, welche nicht unwesentliche Rolle ich bei diesem Trauermarsch gespielt hatte. Sie forderten Heinisch auf, mich aus dem Projekt in der Pfarrstraße auszuschließen. Aber bis dahin sollte noch Zeit vergehen.
Kriegsspiele in den märkischen Wäldern
Den Sommer verbrachten viele Neonazis in den Berliner Randgebieten. Mit scharfen Waffen wurde in den Wäldern Krieg gespielt. Ein paarmal fanden Treffen mit Angehörigen des »Ku Klux Klan« statt. Mit ihnen wurde der »Ernstfall« geprobt. Viele von ihnen kommen aus Königs Wusterhausen, einem Städtchen vor den Toren von Berlin. Es gibt mittlerweile in vielen deutschen Städten Gründungszellen dieses nordamerikanischen rassistischen Geheimbundes. Der Klan arbeitet in den USA mit Lauck, dem Chef der NSDAP/AO aus Nebraska, zusammen. Lauck hat am Telefon öfter davon berichtet, wie der Klan in Deutschland ständig an Einfluß gewinnt.
Einige Klan-Mitglieder haben in Zeesen bei Königs Wusterhausen mehrfach ein von Autonomen besetztes Schloß angegriffen. Bei einem dieser Überfälle wurde einem niederländischen Besetzer die Schulter durchschossen. Die Ermittlungen der zuständigen Polizeidienststelle sind derzeit noch nicht abgeschlossen.
Meine Zusammenarbeit mit dem Ku-Klux-Klan beschränkte sich auf ein paar wenige Wehrsportlager.
Wir trafen uns meist am Freitagabend und zogen die ganze Nacht durch die Wälder. Einmal begegnete uns ein Förster. Der alte Mann fuhr einen Trabant Kübel. Er sah, daß wir bis an die Zähne bewaffnet waren. Er hielt an, stieg aus und fragte, was wir hier machten. Jetzt sei Brunftzeit, und wir dürften nachts nicht einfach so durch den Wald laufen. Friedhelm Wander machte einen Schritt auf ihn zu und herrschte ihn an: »Bleiben Sie mal ganz ruhig, mein Lieber! Sie befinden sich hier in militärischem Sperrgebiet!«
»Ich habe nicht das Gefühl, daß Sie irgendeiner militärischen Einheit angehören«, entgegnete der Förster mit fester Stimme.
»Und ich habe nicht das Gefühl, daß Sie als Zivilist das beurteilen können. Ich rate Ihnen: Machen Sie, daß Sie schnell verschwinden!« schrie Wander zurück.
Daraufhin stieg der Förster in sein Auto und fuhr davon.
Wir übten mit Maschinengewehren auf ehemals sowjetischem Militärgelände. Die Waffen hatten wir zuvor russischen Soldaten abgekauft. Wenn das Wochenende vorbei war, vergruben wir sie jedesmal an einem sicheren Ort im Wald.
Schon zwei Jahre zuvor, im Sommer des Jahres 1990, war ich von dem Hamburger Neonazi Thomas Wulff zu einem Treffen der ganz besonderen Art eingeladen worden. Jürgen Rieger, ein in der »Szene« nicht unbekannter Rechtsanwalt, hatte ein Treffen auf Bundeswehrgelände für Liebhaber militärhistorischer Fahrzeuge angemeldet. Seltsamerweise erschienen die Teilnehmer alle in Tarnuniformen. Viele von ihnen kamen in alten Wehrmachtsfahrzeugen angereist. Rieger teilte die ungefähr sechzig Anwesenden in zwei Gruppen auf. Beide Gruppen fuhren in unterschiedlichen Richtungen los, um sich an einem vorher ausgemachten Punkt wiederzutreffen. Die Fahrt ging querfeldein, durch Schlammlöcher und über Stock und Stein, für manche sicher ein Gefühl wie auf dem Rußland-Feldzug. Am Treffpunkt angekommen, verließen wir die Fahrzeuge und begannen mit verschiedenen Schießübungen. Die Bundeswehr hatte dem Verein für militärische Fahrzeuge großzügig Schreckschußmunition zur Verfügung gestellt. Später schössen wir mit Luftgewehren auf Zielscheiben. Fünf
Weitere Kostenlose Bücher