Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
gelöst. Bannister wurde in der Nacht des 22. Oktober 1997 hingerichtet. Die Proteste waren gewaltig. Neben dem Papst, europäischen Regierungsmitgliedern protestierte sogar der ermittelnde Polizeibeamte dagegen. Leider vergebens. Mich ließ das Thema Todesstrafe nicht mehr los, und ich wollte etwas Konkretes dagegen tun. Während ich versuchte, alles zum Thema zu lesen und zu bekommen, stieß ich während meiner Recherche auf einen alten Bekannten. Ich hatte den Typen schon fast vergessen. Fred Leuchter, ich kannte ihn aus meiner Neonazi-Zeit als einen der wichtigsten Unterstützer der Holocaust-Leugner. Leuchter war mir einmal begegnet. Ich glaube, es war 1991 oder 1992. Ein kleiner verklemmter Typ, mit fettigen Haaren und einer riesigen, dicken Brille. Damals gab er mir seine Visitenkarte. Sie war aus Gummi, zirka zehn mal fünf Zentimeter groß und hatte die Form eines elektrischen Stuhles. Darauf geprägt war seine Adresse und seine Berufsbezeichnung: »Execution-Expert«. Ich kann nicht mehr sagen, inwieweit ich das damals wirklich wahrnahm, und wenn, ich bin mir sicher, es hätte es auch keinen Unterschied gemacht.
Dieser Fred Leuchter war Ende der achtziger Jahre im Auftrag des Holocaust-Leugners Ernst Zündel in das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz gefahren, hatte die dortigen Gaskammern untersucht und war zu dem »Ergebnis« gekommen, daß es eine organisierte Massenvernichtung niemals gegeben haben könne. Aus seinen sogenannten wissenschaftlichen Untersuchungen fertigte er den nach ihm benannten »Leuchter-Bericht«. Noch heute gilt dieses Machwerk als Bibel der Rechten, jeder halbwegs geschulte Neonazi kann daraus zitieren. Für Michael Kühnen war das Thema Holocaust mit diesem Bericht vom Tisch.
Dieser Fred Leuchter, auch bekannt als Dr. Death, begegnete mir bei meinen Recherchen in diversen Schriften, in denen er als staatlich anerkannte wissenschaftliche Kapazität zitiert wird, wenn es um das Thema Todesstrafe geht. Er hat den Tod zu seinem Beruf und Geldgeber gemacht und baut und vertreibt Hinrichtungsgeräte. Angefangen vom Galgen, über den elektrischen Stuhl, die Gaskammer (die man auch als fahrbares Gerät bekommen kann) bis hin zur sogenannten »Lethal Injection Machine« (Spritzenmaschine), kann man alles bei ihm bestellen. Mit dem von ihm patentierten modularen Injektionssystem wird mittlerweile in über zwanzig Bundesstaaten der USA exekutiert. Auch Bannister war mit einer derartigen Maschine getötet worden. Leuchter verkauft das Ganze als humane Tötungsart. Nachdem ich all das wußte, war ich noch stärker motiviert, etwas gegen die Todesstrafe zu unternehmen.
Im Sommer 1997 las ich einen Artikel über die Deutsch-Amerikanerin Debra Jean Milke im Spiegel. Ich nahm Kontakt zu ihr auf. In einem Brief erklärte ich ihr ausführlich, warum ich ihr schreibe und daß ich hoffe, ihr helfen zu können. Ganz langsam entwickelte sich eine Brieffreundschaft. Sie schilderte mir ihr Leben, wie sie mit der Todesstrafe im Gefängnis versucht zu überleben, ich schickte ihr Bilder von draußen. Nach einer ganzen Weile fingen wir an, Tonbänder zu besprechen. Sie konnte ihren Rekorder dafür benutzen. So bekam die Person, die ich bisher nur aus ihren Briefen kannte, eine Stimme. Es war wohl das merkwürdigste Gefühl, das ich seit langem hatte. Die Stimme klang, als käme sie aus dem Jenseits. Im Hintergrund konnte man immer wieder das Klappern von Schlüsseln und das harte Schlagen von Metalltüren hören. Ventilatoren und Geräusche anderer Gefangener machten die Qualität des Bandes nicht gerade besser.
Es gibt Situationen im Leben, da verliert man die Distanz zu den Dingen, ich habe das oft erlebt und meistens erst hinterher realisiert. Ich bewunderte diese Frau, das war mir recht schnell klar. Je mehr ich über sie, über ihren Fall erfuhr, desto sicherer wurde ich, daß sie unschuldig ist. Es gibt Dinge, die sind so groß und mächtig, daß sie dich alles ringsherum vergessen lassen. Jede Vorsichtsmaßnahme, jede Art von gesunder Distanz. So kam es, daß ich sehr schnell ein Teil dieser Geschichte wurde.
Im Dezember 1998 fuhr ich im Auftrag des Magazins TIP dann nach Arizona, um einen Artikel über Debbies Fall zu schreiben. Mein Artikel, der in enger Zusammenarbeit mit Karl Hermann, dem Chefredakteur des Magazins, sowie Christian Kruppa, der die Fotos gemacht hat, entstanden war, wurde kurze Zeit später im TIP veröffentlicht.
Tod in der Wüste
Debbie Milke sitzt im Gefängnis von
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