Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
noch eine ganze Menge.
Hier sehe ich eines der größten Probleme und Schwachstellen in unserer Gesellschaft. Wir sollten in der Lage sein, den braunen Rattenfängern den Nachwuchs abzuschneiden. Solange unsere Gesellschaft es nicht schafft, Jugendliche daran zu hindern, in diese Gruppen zu rennen, werden wir weiterhin das Problem haben, daß Synagogen und Ausländerwohnheime das Angriffsziel fanatisierter Jugendlicher sind, werden wir weiterhin Jugendliche in den Reihen der NPD oder anderen Organisationen sehen. Ohne die Altersgruppe der 14-bis 20jährigen verliert die Szene einen ihrer wichtigsten Bestandteile.
Die geistigen Brandstifter, wie Udo Voigt, Christian Worch, Horst Mahler und wie sie alle heißen mögen, werden diese Gewalttaten nicht selbst durchführen, sie brauchen dumme, orientierungslose Jugendliche für diesen Zweck. Der mittlerweile verstorbene Neonaziführer Michael Kühnen nannte sie immer »nützliche Idioten«, »Man kann sie zwar politisch kaum benutzen, aber zum Reinigen der Straße sind sie allemal gut genug. Und ein paar davon werden auch gute Nationalsozialisten.«
Auf lange Sicht wird es nicht ausreichen, Gesetze zu verschärfen, um beispielsweise Jugendliche nach Erwachsenen-strafrecht abzuurteilen. Abschreckung hat nie funktioniert, das beste Beispiel dafür sind die USA mit ihren drakonischen Strafmaßnahmen wie Todesstrafe und ihrem »three strikes your out law« (nach drei Verbrechen, wie beispielsweise dreimaligem Diebstahl, gibt es nur noch die lebenslängliche Freiheitsstrafe). Wenn wir nicht in zwanzig Jahren eine ganze Generation von Jugendlichen in den Gefängnissen dieses Landes sehen wollen, ist es an der Zeit, etwas zu unternehmen. Also, was fehlt in diesem Land? Ich war wirklich nie ein Fan der DDR und ihrer staatlichen Jugendpolitik. Aber wenn man, wie nach dem Fall der Mauer, nichts Besseres zu tun hat, als die vorhandenen Strukturen mit Stumpf und Stiel auszurotten, und dem nichts entgegensetzt, soll man sich doch bitte schön nicht wundern über Gewalt, Orientierungs-und Perspektivlosigkeit. Niemand soll wieder die blauen Uniformhemden der FDJ tragen müssen oder Jung-und Thälmannpionier sein, aber es muß ernsthafte und fundierte Überlegungen zu einer staatlichen Jugendpolitik geben. Das kann nicht nur durch Kirchen oder private Organisationen aufgefangen werden.
Deutschland steht nicht vor einer Machtergreifung durch die braunen Horden, ganz sicher nicht. Wir leben in einer gut funktionierenden Demokratie. Die Ideen und Gedanken der Neonazi-Ideologen sind rückwärtsgewandt, das sollte auch der Dümmste im Land erkennen. Politischen Einfluß wird keine dieser Figuren erlangen. Die große Gefahr, die man realistisch sehen muß, ist die der unkalkulierbaren Gewalt, die von diesen Gruppen ausgeht. Ich will hier nicht von der oft bemühten »Braunen-Armee-Fraktion« sprechen, aber es gibt eine klar erkennbare Gewaltbereitschaft, die sich in den letzten Jahren in eine neue Richtung entwickelt hat. Aus meiner Sicht ist es aber noch zu früh, von Parallelen zu den düsteren Baader-Meinhof-Jahren zu sprechen.
Das Projekt »Exit« hat sich zum Ziel gesetzt, potentiellen Aussteigern zu helfen, ihnen einen Weg zurück in die Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu gehört unter anderem, ihnen eine neue Lebenswelt zu schaffen, ihnen eine Perspektive anzubieten und sie letztlich aus ihrem Umfeld herauszulösen. Wenn sich aber jemand, aus welchen Gründen auch immer, entschließt, dieser gewaltbereiten Szene den Rücken zu kehren, muß er auch bereit sein, den ersten Schritt selbst zu tun. Das heißt konkret, daß der oder die Betroffene sich mit »Exit« in Verbindung setzt. Von diesem Zeitpunkt an wird das gesamte Spektrum an Hilfsmöglichkeiten greifen. »Exit« arbeitet unabhängig von Polizei und politischen Organisationen. Bei Bedarf wird »Exit« aber in der Lage sein, einen Kontakt zur Polizei herzustellen, schon deshalb weil in vielen Fällen auch der Schutz des Aussteigers gewährleistet sein muß. Die Reintegration in die Gesellschaft ist das Ziel. Mitglieder der rechtsextremen Szene müssen ihre bisherige Umgebung verlassen. Hier bietet »Exit« Aussteigern die Möglichkeit, neue Perspektiven und Lebensalternativen zu entwickeln. Dies kann durch sportliche oder künstlerische Aktivitäten geschehen, besonders in Gruppen mit »normalen« Jugendlichen und Erwachsenen. Wichtig dabei ist auch die Begleitung und Beratung von Eltern, Lehrern und Sozialarbeitern.
»Exit«
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