Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
seinen Cowboy-Stiefeln findet.
Saldate verständigt seinen Vorgesetzten von dem Fund und teilt mit, daß er eine weitere Person verhören will: Debbie Milke. Es folgt eine halbstündige Vernehmung, die nach Ansicht von Saldate ein vollständiges Geständnis enthält und bis heute das einzige Beweisstück für den Mordvorwurf bildet. Doch weder gibt es ein Tonbandprotokoll noch einen Zeugen, geschweige denn eine Unterschrift von Debbie Milke. Alles Verhörmittel, die Saldate zuvor bei Scott angewandt hatte. Nicht einmal die Notizen, die sich Saldate während des Verhörs gemacht haben will, existieren. Er habe sie weggeworfen, erklärt er später dem Gericht. Dafür präsentiert er ein Erinnerungsprotokoll, das vom 6. Dezember 1989 datiert und knapp zehn Seiten umfaßt. Danach soll Debbie nicht nur gestanden haben, den Mord an Christopher angestiftet zu haben. Detailliert schildert sie auch ihr Verhältnis zur Familie, zum Kindesvater Mark, zu Gott, zu den Stiefeltern und nennt das Motiv ihrer angeblichen Tat: »Christopher sollte nicht so aufwachsen wie sein Vater.« Alles in 30 Minuten, unterbrochen von hysterischen Weinkrämpfen. Unmöglich, sagen Renate Jankas Juristen.
Erst etliche Tage nach dem Verhör teilt der Pflichtverteidiger Debbie mit, daß sie des Mordes an ihrem Sohn angeklagt ist. Erst dann erfährt sie von dem angeblichen »Geständnis«. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Arizona schon in hellster Aufregung, fordern Staatsanwälte und Politiker bereits die Todesstrafe. »The crime of the eighties«, jubeln die Medien und sezieren genüßlich den »Santa Claus Case«.
Als Motiv unterstellt man Debbie Habgier. Ihr sei es um die 5000-Mark-Prämie aus einer Lebensversicherung für Christopher gegangen, behauptet die Anklage. Doch den Vertrag hatte nicht Debbie, sondern ihr Arbeitgeber, eine Versicherungsgesellschaft, für sie abgeschlossen. Im Rahmen der Sozialleistungen. Monatsrate: zwei Dollar!
Richterin Cheryl Hendrix weist sämtliche Beweismittel zu Debbies Gunsten zurück: psychiatrische Gutachten, einen Lügendetektor-Test, freundliche Beurteilungen von Nachbarn und Kollegen, die Debbie als fürsorgliche Mutter bezeichnen, ja sogar die Erklärung von Styers, Debbie habe mit dem Mord nichts zu tun. »Es ist sehr schwierig, eine Gruppe von Beobachtern 14 Monate lang, 24 Stunden am Tag hinters Licht zu führen«, sagt der Leiter der Gefängnis-Psychiatrie, Dr. Leonardo Garcia Bunuel, der Debbie Milke zu begutachten hatte, »doch mit der Zeit glaubte das gesamte Team an Debbies Unschuld und es war ein Schock, als sie verurteilt wurde.«
Neun Jahre sind seitdem vergangen. Und mehrere Appellationsversuche, die allesamt scheiterten. Sie landeten immer wieder auf dem Tisch derselben Richterin, Cheryl Hendrix, bis diese selbst wegen verschiedener Vorwürfe in eine andere Kammer versetzt wurde. Ganze Aktenberge hat Renate Janka inzwischen zusammengetragen, auch Enthüllungen über das Vorleben von Saldate: Danach verwarfen Gerichte in 25 (!) Fällen die von Saldate vorgelegten Geständnisse, weil sie offensichtlich manipuliert waren. Im Gegenteil: Saldate wurde nach dem Prozeß aufgrund seiner Popularität zum county constable (eine Art Friedensrichter) gewählt.
Anfang 1998 war es dann soweit. Für den 29, Januar wurde ein Exekutionstermin anberaumt. Debbie durfte zwischen Gaskammer und Giftspritze wählen. Anders als die LeGrandBrüder entschied sie sich für Gift. Sie erhielt einen sogenannten dry run, eine Trockenübung, bei der ihre Venen angezeichnet und ihre Reaktionen auf Video festgehalten wurden. Doch kurz vor dem eigentlichen Termin erhielt sie noch einmal einen Aufschub - für eine erneute Prüfung ihres Falles. Inzwischen sind alle Appellationsmöglichkeiten erschöpft und Rechtsanwalt Anders Rosenquist sieht nur noch eine Chance, die Vollstreckung zu verhindern. Ein Bundesgericht prüft derzeit das Verfahren nach der »Habeas-Corpus-Akte«. Keine Fakten zählen hier, lediglich die Frage, ob bei Debbies Prozeß ihre Menschenrechte verletzt wurden. Kommt das Gericht zu einem entsprechenden Ergebnis, kann das Urteil aufgehoben und ein neues Verfahren angestrengt werden. Richter Broomfield gilt als fairer, besonnener Mann. Doch im Land herrscht Lynchstimmung. »Ich habe keinerlei Skrupel, den Staat um die Vollstreckung zu bitten«, sagte unlängst der Assistent des Generalstaatsanwalts, Randall Howe. »Sie hat ihren vier Jahre alten Sohn zur Weihnachtszeit ermordet. Eine Begnadigung würde
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