Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
lassen.
Als ich dann auf der Anklagebank saß, war ich fast froh. Das Verfahren vor dem Landgericht Berlin an sich dauerte nicht lange. Der Staatsanwalt verlas die Anklageschrift, die Richterin stellte mir zwei, drei Fragen zum Inhalt der Anklageschrift und zum Ablauf des mir zur Last gelegten Brandanschlags. Da ich im wesentlichen die Ausführungen des Staatsanwaltes bestätigte, wurden kurze Zeit später durch den Staatsanwalt und meine Rechtsanwältin bereits Anträge für das Strafmaß gestellt. Ich wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Strafe wurde für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt, zusätzlich mußte ich 1800 Mark an die Organisation »Ärzte in Not« zahlen. Die Richterin wertete meinen lange zurückliegenden Ausstieg und meine Kooperation mit der Polizei als strafmildernd. Die Tatsache, daß ohne meine Aussagen diese Straftaten niemals hätten aufgeklärt werden können, hielt sie mir ebenfalls zugute. Für mich war mit diesem Urteil endlich ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen, auch wenn ich in den nächsten Jahren immer wieder einmal vor Gericht gegen meine früheren Mitstreiter aussagen mußte.
Kurz nachdem meine Verurteilung durch die Medien bekannt wurde, machte sich mein ehemaliger Schulfreund und Mitbegründer der ersten rechtsextremistischen Partei der DDR, der Nationalen Alternative, auf den Weg, um gegen mich eine Anzeige wegen schwerer Brandstiftung bei der Berliner Polizei zu machen. Der Sachverhalt ist relativ schnell erzählt. Frank Lutz hat behauptet, ich hätte zusammen mit einer anderen Person die Wohnungstür seiner ehemaligen Freundin angezündet. Lutz’s ehemalige Freundin hatte sich von ihm abgewandt, weil sie einfach nicht mit einem Neonazi Zusammensein wollte. Das hat Frank Lutz nie verwunden. Ich weiß nicht, ob diese Tür jemals brannte, vielleicht hat sie es, weil Lutz sie selbst angezündet hat oder irgendeiner seiner Handlanger. Ich habe es jedenfalls nicht getan.
Lange Rede kurzer Sinn, ich mußte mich wieder einmal auf den Weg zum Staatsschutz machen, Aussagen machen, und ein Ermittlungsverfahren über mich ergehen lassen. Schließlich wurde das Verfahren eingestellt. Ich erwähne diese Geschichte hier aus dem Grund, weil sie sehr gut zeigt, wie es ist, wenn ein Aussteiger den Schutz der Gruppe verliert. Es werden Falschaussagen gemacht, man tut sich zusammen, um der Person soviel wie irgendmöglich zu schaden. Ein Leben nach dem Ausstieg soll nicht mehr möglich sein. Oberste Priorität ist es, dem Aussteiger klarzumachen, daß er ohne die Gruppe gar nichts und mit der Gruppe alles ist. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, so einfach ist das.
Amerika und die Todesstrafe
Wenn ich über die letzten Jahre rede, komme ich zwangsläufig zu einem Thema, das mich fast zwei Jahre beschäftigt hat. Nachdem ich mit der amerikanischen Ausgabe der »Abrechnung«, die im Verlag Random House unter dem Titel »Führer Ex« erschienen war, eine Buchtour durch die USA gemacht hatte, fing ich an, mich mit einem anderen Thema zu befassen: der Todesstrafe.
Als ich im Sommer 1995 im US-Bundesstaat Missouri war, fiel mir ein Zeitungsartikel über Alan Jeffrey Bannister in die Hände. Ein junger Mann, der im Missouri State Prison Potosi auf seine Exekution wartete. In dem Artikel wurde ausführlich die Tat beschrieben, die ihn in die Todeszelle gebracht hatte. Ich war, lange bevor ich den Artikel las, ein Gegner der Todesstrafe gewesen. Einen erzieherischen Effekt im Zusammenhang mit der Todesstrafe habe ich im Gegensatz zu Leuten wie George W. Bush nie gesehen. Im Gegenteil, jemanden zu töten, um andere abzuschrecken und ihnen klarzumachen, daß töten falsch ist, schien mir immer absurd. Und der biblische Hintergrund »Auge um Auge, Zahn um Zahn« war und ist für mich gänzlich unverständlich. Fanatiker der Todesstrafe vergessen bei diesem Argument gern, daß es an anderer Stelle heißt: »Du sollst nicht töten.«
Aber auch in der Neonazi-Szene war ich immer wieder auf Leute gestoßen, die die Todesstrafe grundsätzlich begrüßten und sie wohl am liebsten auch selbst angewandt hätten. Die möglichen Straftatbestände und Delinquenten waren dabei völlig wahllos. Angefangen von Prostitution, über Drogendealer bis hin zu Straftaten gegen Deutschland war alles dabei.
In dem Artikel über Bannister hieß es weiter, daß er hartnäckig bestreite, einen vorsatzlichen Mord begangen zu haben, der Schuß habe sich im Handgemenge
Weitere Kostenlose Bücher