Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
sagst du ›du‹. Das reicht doch.«
    »Was machst du, wenn andere von dir reden? Woher weißt du, daß du es bist, die sie meinen, und nicht eine andere ›sie‹?«
    »Stimmt.«
    »Also?« Das Buch neckte sie gern.
    »Ein Eigenname, wie in den ganz alten Geschichten, was sonst? Im Anfang war der Logos.« Sie kicherte bei sich und dachte an den Witz, von dem das Buch ihr vor dem letzten Getümmel am geknickten Krater erzählt hatte – wie da vor sehr langer Zeit bei den Menschen eine Lehre entstanden war, die das Wort, das Angeben von Gründen, die saubere Inferenz ganz zu Recht über alles andere gesetzt hatte, was zu denken war, und wie ein besonderes Kollektiv, eine winzige Population namens »die Griechen«, wohnhaft an irgendeinem Krater mit viel Wasser, eine ganze Kultur zusehends nach dieser Philosophie ausgerichtet hatte, bis es in deren Zeichen gelungen war, einen enormen memetischen Einfluß auf alle angrenzenden Populationen zu gewinnen. Und da war plötzlich – auch die alte Welt hatte bewegliche Schlachtverläufe gekannt – aus der Mitte einer Konkurrenzgruppe, die über einen eigenen Memepool verfügte, dessen Strukturen sich anhand der Vorstellung einer allerersten Ursache, also nicht nach Inferenzen und Schlußketten, sondern nach einer Grundregel gebildet hatten, »die Hebräer«, eine völlig unvorhersehbare Offensive unternommen worden. Es gelang den Angreifern, die memetischen Waffen der Griechen in ihr eigenes Arsenal zu überführen, indem sie das Wort, den Logos, einfach für inkarniert ausgaben, für einen fleischgewordenen Gott, oder, wie sie, an die Säugetiergenetik gefesselt, sich ausdrückten: für seinen Sohn. Die Angegriffenen waren ziemlich erstaunt gewesen und hatten dem nichts entgegenzusetzen gehabt – die kleine rote Echse konnte sich's gut vorstellen: »Was denn, wie denn, unsern Logos kann man doch nicht einfach zum Menschen erklären, das könnt ihr doch nicht machen ...«
    Die kleine rote Echse liebte solche Augenblicke, wenn die Lektionen des Buches ihr Einblick in eine Welt verschafften, in der es noch viel ältere und kompliziertere Kriege gab als den, in den sie hineingeboren war und der die ganze Südhalbkugel ihrer Welt seit unvordenklichen Zeiten beherrschte.
    »Dein eigener Name also. Gut. Es gibt ihn längst, ich kenne ihn. Lasara hat ihn ausgesucht.«
    »Dann sag ihn und quäl mich nicht. Sie greifen gleich wieder an, ich löse mich jetzt von den Bannerträgern. Es geht los, mit Eisen, mit Fackeln, mit Brandbeschleunigern aus Sprühdüsen. Ich hab keine Zeit für Spiele«.
    »Du bist Padmasambhava. Ich freue mich, dir helfen zu dürfen.«

    Die kleine rote Echse spürte, daß mit dieser Auskunft etwas Gefährliches in die Welt gekommen war.
    Ihre Flügel schlugen mit großer Kraft, sie leckte sich ihre schwarzen Zähne ab, als wären die plötzlich größer geworden, und schwang sich in die Luft, statt zu kämpfen, und lachte.
    So groß war ihre Freude, daß sie vergaß, den Empfang der Meldung des Buches zu bestätigen und sich selber abzumelden. Ihre Krallen zerrissen im Flug eins der Banner, unabsichtlich zwar, aber sie schämte sich nicht, sondern lachte, und der beraubte Bannerträger, der unter ihr sofort von andrängenden Räubern überwältigt wurde, blickte mit Entsetzen zu ihr auf, zu Padmasambhava, der Neuigkeit, Ungeheuerlichkeit.

    Unten die Zirkel, die gruben, die Nahrungsketten und beweglichen Friedhöfe des Massensterbens, auf den großflächigen Niederungen die Haufenballungen der Leiber, die Feste von Kopulation und Sieg und Niederlage, nicht ohne Auswirkung auf die Albedo, waren ein Schauspiel für Padmasambhava, das sie jetzt wie zum ersten Mal sah. Ein Keil aus bräunlich-beigen Jungtieren, zu momentaner Allianz gegen die Älteren vereinigt, trieb in eine Bucht, lappte über die Ränder einer Reihe sich überschneidender Talkomplexe, bis jemand eine Boden-Boden-Rakete abfeuerte und der reinigende Einschlag den Großgraben erschütterte.
    Weiße Rauchsäulen standen über dem Punkt, wo die Tagesentscheidung fiel, Positionen wurden erobert, andere geräumt, Kreischen fuhr aus rauhen Kehlen in die Höhe. Padmasambhava blickte auf den Vorgang, als beträfe er sie schon nicht mehr.
    Sie stieg weiter empor, gelangte näher und näher an die Bäuche der silbernen Wolken, endlich mitten in sie hinein. Da segelte die Getaufte hoch in den Himmel und dachte: Ich habe es immer gewußt; es haben ja doch nur sehr wenige Flügel, es sind nur wenige so

Weitere Kostenlose Bücher