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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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was soll ich dich jetzt töten? Wir könnten uns wiederbegegnen, dann schließen wir vielleicht ein Bündnis auf Zeit, weil du dich erinnerst, daß ich dir nur so viel genommen habe, wie ich brauchte.«
    »Du kennst sie gut, die Welt«, wiederholte die Besiegte, »du redest wie ein Herzhund.«
    Das fade Monster, dachte die kleine rote Echse, sie kennt niemand klügeren als die Herzhunde; sie weiß nicht, daß es droben in den Burgen Roboter, Fische und andere Geschöpfe gibt, gegen die der klügste und erfahrenste Ingenieur der Hundewanderschulen bloß ein einfacher Echsenkrieger ist.
    Die kleine rote Echse leckte sich das Kinn und sagte: »Ich kenn die Welt gut, das stimmt. Und ich weiß, daß es nicht nur diese eine gibt, darum sehe ich mich immer nach allen Seiten um, auch nach oben, daß nicht am Ende einmal eine runterfällt und ich davon erschlagen werde.«
    »Du meinst die Begleiter, Phobos und Deimos?«
    Es wurde finster, hinter den Schaumweiden fingen die Riesengrillen an, ihre grausigen Geräusche zu machen.
    Die kleine rote Echse sog Nachtluft durch die Nasenlöcher in den klaren Kopf und erwiderte: »Das sind doch keine Welten. Zwei Brocken totes Gestein, sonst nichts.«
    Das arme Luder zweifelte daran: »Kann man da nicht auch wohnen?«
    Die kleine rote Echse spuckte aus und sagte: »Wieso sollte man das wollen? Deimos hat nur fünfzehn Kilometer Durchmesser, Phobos nur siebenundzwanzig, und sie bringen nicht mal genügend Schwerkraft auf, eine oder einen von uns bei sich zu behalten – selbst eine Nashornkuh wär dort nicht nennenswert schwer. Wenn sie in die Luft springen würde, könnte es Minuten dauern, bis sie wieder zurück auf den Felsboden schwebt.«
    »Minuten«, sagte die andere, glotzäugig und verträumt. Sie schleppte sich, als sie keine Antwort mehr erhielt, in den Schatten eines gespaltenen Sprossenbaums aus drei Stämmen, um nicht, wenn die kleine rote Echse sie verließ, von jemand anderem gefunden und gefressen zu werden.
    Die kleine rote Echse sprang in die Höhe wie von Stahlfedern abgeschossen, dann rannte sie davon und warf sich wieder ins Unaufhörliche.

    Manchmal war sie seltsam fröhlich bei dem Gedanken, daß es dem Mars mit ihr und den besten Exemplaren der am experimentum crucis beteiligten Arten so ging wie umgekehrt ihr mit der Heimatwelt: Je mehr der Mars mitbekam von denen, die er auf sich leben ließ, desto genauer wußte er, wie es sich anfühlte, der Mars zu sein.
    Eine Welt, benannt nach einem Kriegsgott, dem die Wölfe heilig gewesen waren – Wölfe wie mein Vater, dachte die kleine rote Echse stolz –, vernarbte Frucht, rot und orange, mit weißem Mützchen, weißen Söckchen, mit sprudelnden Quellen, aus dem Permafrost befreit, großen dunklen Meeren, auch mit Vulkanen, Schluchtenmustern, eingekerbt zwischen Kratern und lichten Ebenen, halb so groß wie die Herkunftswelt, doppelt so groß wie die erste Stufe der Gente-Auswanderung, Luna, der alte Mond.
    Kaum Schwerkraft hier, nur 38 Prozent der altirdischen. Das Jahr frißt 687 altirdische Tage, der Tag ist ein winziges bißchen länger als die Tage auf der Herkunftswelt: 24 Stunden und 40 Minuten.
    Wußte der Mars das alles, wenn sie es wußte, wenn es die Bücher wußten, das Buch des Lebens und die übrigen? Wußte er, was sie über sich selbst lernte: daß das Blut an ihren Füßen und Händen nicht von alleine die Temperatur wechselte, wenn ihrem Leben danach war, sondern Sonnenhitze brauchte, um sich zu erwärmen, oder die Kühle von Eis, um sich zu beruhigen; und daß das bei ihren Eltern, bei Luchs und Wolf, anders gewesen war?
    Sie schrieb ins Buch, was sie sah und wie sie es auffaßte: »Körper von andern Echsen, weniger schlau und weniger rot als ich, füllen die Gräben zwischen den Burgen, und die hungrigen Helden bleiben liegen und verwandeln sich in Sand. Sie haben spielen wollen, sie wußten nicht, daß es ernst ist, ich weiß es, deshalb überlebe ich. Sie tun nur so, dann sind sie weg. Sie rennen blind und beißwütig die Rillen und Zäune entlang, man hat sie mit der Blutflasche großgezogen, damit sie alles töten, was sie greifen, jetzt sind sie fort, weil sie nur Diener sein wollen statt Leute, Gente, richtig rot. Soldatenjunges, aus Ton gebrannt, jetzt bloß eine Hülle, keine zehn Jahre alt, jeder ein Einzelkind, brav dem experimentum gedient, zum Fressen erzogen, nicht zum Denken, macht alles, was man ihm sagt, jetzt ist Schluß, blöder Tod, nimm ihn mit, er war nichts besonderes.

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