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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Kaffee dummdreist ins Gesicht.
    Man soll, fand Sankt Oswald mittlerweile, nicht so alt werden, wie ich bin.
    Unter lebensmüden Erwägungen wartete er auf Ersatz und Neuigkeiten und ließ dabei den müden Blick die Kopie der Kopie der Kopie eines Tausende Male restaurierten Gemäldes des Affen Stanz diagonal, längs und hochkant entlangwandern, die über seinem langen Eßtisch hing, guck hier, guck da, such den goldenen Schnitt.
    Durch all die Restaurationen hindurch ist vermutlich kein einziges Atom mehr in dem Werk zu finden, das bei seiner Erschaffung durch den Maler dazu gehört hat. Und doch, sann Sankt Oswald, ist es dieselbe Arbeit, so wie ich, an Haupt und Gliedern viel zu oft erneuert, derselbe bin, der ich vor langer Zeit war.

    Die große Standuhr auf dem Flur schlug siebenundzwanzigmal, furchtbar langsam.
    Sankt Oswald fragte sich, ob er verrückt wurde, weil er mit dem Ding redete, als gälten die Schläge ihm, als müßte er die Zeit besänftigen: »Nu mhmpfh laß mal, ist ja gut, alte Uhr, doofe alte dumpfe Uhr, mit deiner ewigen andauernden saublöden verrinnenden Zeit, mit den Äonen und Epochen, und alles raffst du weg und nagst du klein. Ich aber, brr, ich sitze da, mit meinem ins Gesicht geschnitzten Grinsen, nein, will mich nicht beschweren, ist schon recht. Ich hab's vielleicht, was weiß denn ich, nicht so gemeint, blöde Uhr, blöde Zeit, obwohl, doch, genau so hab ich es gemeint, soll ich nicht lieber stille sein? Soll ich dir schmeicheln, Zeit? Das könnte dir so passen. Ein Lob, ein Preis der mächtigen Zeit, Mörderin wehrloser sterblicher Wesen. Nein, entschuldige mal, das war gemein. Obwohl mir ein bißchen Gemeinheit, mußt du verstehen, ganz guttäte. Ich habe, stell dir das nur vor, mindestens zweihundert Jahre lang nicht mehr dreckig gelacht – das war früher mein ganzer Lebensinhalt, das dreckige Lachen. Ich lache nicht mehr, aber ich respektiere dich, Zeit, weil du, wenn du lachen würdest, dreckiger lachen könntest als alle, da du nämlich eine große Sau bist, die mich zerquetschen kann wie einen Dings. Nein, falsch: Ich liebe dich, es sei denn, du willst das nicht, dann fürchte ich dich, weil ich dich hasse.«
    Die Uhr war fertig mit ihren siebenundzwanzig Erwiderungen, alles schwieg.
    Sankt Oswald sah benommen aus dem Fenster; das besserte zumindest seine Laune.

    Er mochte die vielen da unten, von denen sich zwar kaum noch welche selbst als Gente sahen, und längst nicht alle als Aristoi. Aber sie hatten, wie hieß das? Format.
    Da er in der Vorzeit großgeworden war, betrachtete er das Gewimmel als ein gutes Zeichen: so heidnisch unbekümmert wie nur je im alten Rom, eifrig, von einer Lebenskraft, welche man, um auch die ferne Herkunft aus den Genen der Gente nicht zu übersehen, durchaus »animalisch« finden konnte – keine Spur von der Melancholie, vom Stumpfsinn, nichts auch vom dekadent Ungesunden der letzten Tage von Landers, Kapseits und Borbruck, keine Spur der künstlichen Munterkeit in den Zwielichttagen der Mondsiedlung.
    Kulturkraft, blühend: ein merkwürdiges Volk, eine seltsame Zeit.
    Die Gente, die Lasaras Plan damals zugestimmt hatten, waren davon ausgegangen, daß man sich an sie als an Götter erinnern würde. Hatten die Aristoi Götter?
    Wenn ja, dann keine, in deren Furcht man sich selbst zu vergessen gehalten war. Mit Versmaß und Zeitmaß und Gesetz ausgestattete Götter? Nichts da, hier wurden keine Epen mehr gedichtet, nicht einmal Romane, nur eine lange, vielfältig verästelte zweite Naturgeschichte, nachdem das Epos der gentilen Unnatur seinen unnatürlichen Gang gegangen war.

    »Ist sie schon da? Durch den Bogen gekommen?«
    Die Roboter schwiegen, und Sankt Oswald wußte, daß das immer nein bedeutete (er hatte sie selbst so programmiert, das sparte Energie). Sie war volle dreieinhalb Stunden zu spät dran; eine extreme Unverschämtheit für diese Person, da sie ja eigentlich nicht an den normalen Fluß der Zeit gebunden war.
    Um sie (als wär das möglich) wenigstens zu beschämen, saß Sankt Oswald immer noch beim Frühstück: Wolframglühdrähte, Blätter, Musik aus der Langeweile; damit sie nicht sah, daß er heute morgen nichts Besseres zu tun hatte, als auf sie zu warten. Langsam aber war er bis zum Platzen voll, weitere Aufnahme von Stärkungsmitteln empfahl sich nicht, konnte sogar schädlich sein. Bevor er noch zu einer Entscheidung darüber gelangen konnte, was er mit der restlichen Wartezeit anfangen sollte, klingelten endlich

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