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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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vorhatte, nach allem ... wenn die Gefahr irgendwann vielleicht ... er wollte zu ihr zurückkehren. Nach Princeton. Also, warum hat er sich von der Luchsin zum Königsmord verführen lassen?«
    »Was dir fehlt, ist Psychologie. Es gibt mächtige Emotionen wie schlechtes Gewissen, Schuldgefühle, Dankbarkeit, Vertrauen, Hoffnung, Lust, die ...«
    »Wem gegenüber? Lasara?«
    »Vielleicht. Das Herz der Langlebigen ist nicht weniger kompliziert, als das einfacher Sterblicher immer war, du kennst doch deinen Shakespeare. Und die kryptischen Sentenzen, die von der Comtesse überliefert sind, die kennst du auch: ›Ist nicht die Imagination unsere Rettung? Ich habe gebaut und gebaut und gebaut. Ich sammle alles, was damit zusammenhängt.‹ Pietismus, Quietismus ...«
    »Es klingt, als hätte sie sich langsam eingemauert. Und wäre dann im Gemäuer frömmelnd verblödet, mit dem ... Gesammelten. Vielleicht war er nicht bei ihr, weil sie ihn gar nicht wirklich zu sich lassen wollte. Auf Armeslänge ... Vielleicht ... Imagination ... das klingt, als hätte sie nicht gewußt, daß die Gefühle und Gedanken der Fühlenden und Denkenden dem ähm ... Kosmos einerseits völlig gleichgültig sind, solange sie lediglich gefühlt und gedacht werden, aber andererseits die größte Macht im All darstellen, wenn man sie lebt ... wenn man danach handelt. Wenn man, na du weißt schon, küßt und weint und lacht und was wagt und streitet, statt zu sammeln und zu träumen und sich zu verstecken.«
    »Du sprichst«, er lächelte, »von dir und deinem Mut, nicht mehr von Dmitri oder Alexandra. Warum ist er nicht mehr zu ihr, warum behielt sie ihn nicht bei sich; fand er ein zweites, geläutertes Glück bei der Löwentochter? Es gibt, meine Liebe«, Sankt Oswald machte eine ausladende Armbewegung, die sozusagen im Raum zwischen ihnen die virtuellen Speicher der gemeinsamen Synergspintronik andeuten sollte, »über diese Frage Foren und Großforschungsprojekte, Bände und Aberbände – es geht uns hier in den Burgen mit dieser Art Frühgeschichte wie den alten Kung-Fu-Forschern der Langeweile mit der Frage, warum Bodhidarma von Indien nach China oder China nach Indien gegangen ist oder wie oder was das damals war.«
    »Bodhiwer?«
    »Die Antwort, mein Kind, weiß nicht einmal Frau Späth.«
    Die ultima ratio der Auskunftsverweigerung: Darauf schwieg Padmasambhava.
    Sankt Oswald aber riet ganz richtig, daß das keineswegs bedeutete, daß sie ihre Neugier in diesem speziellen Punkt aufzugeben bereit war; sie hatte bloß beschlossen, Frau Späth eines Tages persönlich mit dem Problem zu konfrontieren.
4. Bene Gente
    Zwei Tage nach Esprit ging im heiligen Mischwald kein Lüftchen.
    Lodas führte seine rote Herrin auf den Hügel, wo gestern noch der herbe Wein vergossen worden war, um ihr zu zeigen, was die Reisenden aus den andern Burgen hier am liebsten mochten. Es war frühmorgens, durchsichtig kühl, ein Kußwetterchen, das eben erst heraufzog, ließ die Liebenden wohlig erschauern. Sie legten sich zwischen zwei blühende Judasbäume, auf Grünes, unter Rosaschimmerndes, und fingen an, einander abzulecken wie die trägen Panther auf den Treppenstufen des Tempels von Kapseits, vor so vielen Jahren. Bald setzte das, was aus ihren Poren drang, das alte holographische Programm in Gang, und auf Laubstreu, in Alkoholpfützen, neben ausgebrannten Feuern, am Kreis aus Steinen erschien als hohe kalte Flamme der Löwe und sprach donnernd, warm, voll alter, unsterblicher Macht zu denen, die sich vor ihm liebten, weil dieses lebendige Bild so eingerichtet war, daß man sich lieben mußte, um es abzurufen: »Denkt nur nicht, ferne Nachkommen, daß ihr bei euch sagen könntet: Wir haben Cyrus Golden zum Vater. Denn ich sage euch: Gott vermag dem Cyrus Golden aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.«

    Lodas hielt die Echse fest, seine rechte Pranke lag auf ihrer rechten Hinterbacke, drückte sie nach rechts, damit er besser hinkam, wo er hinwollte; sie zischte lüstern, damit er ihre Neugier nicht störte.
    Es kam ihr vor, als sähe der tote Herrscher ihr direkt ins Gesicht, als er verkündete, was nach der langen diasporischen Zeit übriggeblieben war von der Lehre Bene Gente: »Verflucht sind, die da Inzest fürchten, Klonen meiden, Pläne fliehen, denn ihrer ist die Langeweile. Verflucht sind, die nicht wissen, was sie wollen, denn andere müssen ihre Schulden begleichen. Verflucht sind die Trägen, denn sie werden sich vervielfältigen, ohne je gelebt

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