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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gekommen, in der Rede, aber was du eigentlich sagen wolltest, ist, daß es sich um eine Wechselbeziehung handelt, nicht um was Einseitiges; ich meine, man kann ja rein logisch ebensogut sagen, der Messias ist für unsere Sünden gestorben, wie man sagen kann, wir begehen unsere Sünden aus Verzweiflung über sein Martyrium. Logisch – nicht moralisch.«
    »Ich kann dir, entschuldige, überhaupt nicht folgen. Aber schön, daß du weißt, was ich eigentlich sagen wollte. Auch wenn ich es nicht mal wiedererkenne, wenn du es mir erzählst.«
    »Wirst du, keine Sorge.«
    Keine Sorge? Es klang eher wie: Wirst du müssen.
2. Erste Orientierung
    Es gab raumartige und zeitartige Linien.
    Mal waren sie Pulse von Oszilloskopen, dann Striche auf Notenpapier, immer hing ein Haken dran – »Was du am ersten Tag gehört hast, was dich auf den Boden geworfen hat, war das Gesamtwerk von Gustav Mahler, in eine Femtosekunde eingedreht. Nunc stans sagten die Alten dazu: der vollständige gegebene Moment. Ich wollte dir zeigen, wie ich existiere. Dazu mußtest du erst einmal den ersten der beiden Pole kennenlernen, die meine Spannung machen. Der andere ist, daß nicht nur die Zeit, sondern auch der Raum sich so zusammenziehen läßt – bis auf eine winzige Kugel, Durchmesser: die Plancklänge. Makromusik und Mikromusik. Hör zu!« –, immer ein Haken, um sie durch die Stimmführung zu ziehen, um die Konsonanzen und Dissonanzen zu organisieren, unter der Erde, über den Wolken, beim Springen zwischen den Orbitalstationen (»Hier drinnen sieht es aus wie in einem Walfisch, bei dem der Magen leuchtet«, fand Padmasambhava, und Cordula nickte: »Und du ahnst nicht mal, wie sehr das, was du da sagst, dieser Vergleich, alles bestätigt, was ich dir über nichtlokale holographische Erinnerung und Resonanzen beigebracht habe«).
    Ebene, Kugel, Kleinsche Flasche, tausend mal tausend Topologien, immer wieder Haken und dann auch noch Ösen: »Das Kamel durchs Nadelöhr, eines der klügsten topologischen Gleichnisse aller Zeiten«, und Padmasambhava wurde das Kamel, Cordula Späth das Nadelöhr; dann krempelte sich die Szene um (»Involution, sieh zu, daß du dir ein paar Referenzpunkte im Gitter merkst, dann wird dir nicht schlecht«, mahnte Cordula), Padmasambhava wurde das Nadelöhr und die Komponistin das Kamel: »Du siehst, ob ich die Person im Zimmer bin oder das Zimmer um die Person, ist nur ein Betonungsunterschied – ob ich die betonten oder die unbetonten Silben im Lautgedicht zähle, ob ich von Generalpause zu Generalpause ... hier, siehst du, da kommt die Twistorrechnung rein.« Die Echse fragte sich nicht selten, auf was für Prozessoren das alles bei der Komponistin eigentlich lief. Ihre eigene Spintronik, normalerweise zu 6% ausgelastet, in Fällen umfangreicher Parallelrechnungen bei gleichzeitiger Konsultation des Buches des Lebens eventuell auch mal zu 20%, stand bei den Übungen, die ihr jetzt auferlegt wurden, stets kurz vor der Gesamtauslastung.
    Schließlich, man erfrischte sich gerade in einer sprudelnden Schauquelle am Fuß des Museums für Gentegeschichte in der Burg V, erkundigte die rote Echse sich direkt: »Womit arbeitest du? Worauf läufst du, was sind das für Prozessoren, die Jahrtausende überdauern? Ist das am Ende gar dein ursprüngliches Hirn, was mir hier beibringt, mich in mehrdimensionale Brezelformen zu verwurmen?«
    »Okay«, sagte die Komponistin, »ich merk schon, du hörst einfach nicht zu, kiddo . Wer bist du überhaupt? Wer will das wissen, was du mich da fragst? Schließ mal die Augen. Hör mal ... wie sagte man früher? In dich hinein.«

    Weil das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schülerin es erzwang, tat Padmasambhava, wie ihr aufgegeben war, und sah sich am Haken im Springkraut, sah sich als Auwald an ein Flußufer heranwachsen, hörte das Rauschen oben in den Blättern (war das nicht das Laub Liviendas, drüben in der andern Burg?), sah sich als Feenlämpchenspinne mit goldenem Glanz zwischen Glockengeläut herumkrabbeln, auf der Suche nach Komprimierungsmöglichkeiten für die Daten, die sie in ihren Netzen gesammelt hatte, sah sich als Zander, beim Anlegen von Verzeichnissen erlaubter Gametenpartnerschaften, nach einem Wurm schnappen, der wieder an demselben, dem immergleichen Haken hing, der einen Haken schlug, durch metonymische Ansteckung verführt, durchgehört, durchschaut, Fisch im Aquarium, der das Glas nicht sieht, hol mich raus aus dem Torus, gib mir eine Chance, hol mich an

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