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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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umfangen, fragte sich Padmasambhava, mich, sie, alle beide?

    Krankhafterweise sandte er ihr, an die Adresse ihres Buches des Lebens, von dem er wußte, daß es, wie die meisten sonstigen Schlaufen ihrer Spintronik, anders als ihr Biokörper die Druckwelle wahrscheinlich überstehen würde, in der letzten Viertelsekunde vor der Zündung einen gigantischen Schwall von Schnappschüssen, Vorwürfen, Szenen vom gemeinsamen Ausgehen auf den großen Parties, Streitigkeiten am Rande einer Ausstellung, Hickhack wegen der letztlich ausgebliebenen Instituierung eines gemeinsamen Arbeits- und Rechtsstundenkontos, als wolle er sich vor genau denselben Bewunderern und Anbeterinnen Padmasambhavas, denen gegenüber seine Tat ein Fanal sein sollte, im Ton des verschmähten Liebhabers rechtfertigen.

    Padmasambhava hatte keine Zeit, den Qualster auch nur querzulesen.
    Schneller als der Lichtblitz und das Zerreißen zahlreicher kosmischer Mikro- und Makrovorhänge, das die Zündung bewirkte, sie erreichten, fühlte sie Colas Hand an ihrem Arm und dann eine Entrückung, als zöge sie jemand seitlich aus dem Text. Erfahrung hatte draußen Gitterform, mit einer tiefen Senke, in der jetzt der Verbitterte verschwand, sprühende Splitter seines Hasses hinter sich herziehend, abtauchend in den Trichter, wie ein Komet seinem Schweif aus brennendem Dreck aufsitzt.
    Cordula und Padmasambhava dagegen standen auf einer beträchtlichen Erhöhung, und die Stimme der geliebten Lehrerin erklärte ruhig: »Weißt du, wir haben das nicht nötig, uns von dieser lokalen Raumzeitscheiße ärgern zu lassen. Wir ummanteln uns oder packen uns aus, wie wir's mögen – wie ich dir's beigebracht habe. Wir tanzen oder stehen still, um alles andere an uns vorbeitanzen zu lassen. Alles, was mit ihm Zeit und Raum teilt, hätte er verbrennen können, aber nicht uns, die wir unterm Schutz der Künste stehen. Eine bessere Abschlußlektion hätte ich mir für dich gar nicht wünschen können.«
    Padmasambhava verneigte sich und sagte: »Aber ich hab es nicht gemacht. Du hast es gemacht. Du hast mich gerettet. Du hast die Kausalkette zwischen seiner Tat und meinem Tod zerschnitten.«
    »Nicht zerschnitten. Geknickt, und den unendlichen Teil davon als Rutschbahn zurechtgebogen, auf dem die Wirkung aus deiner Gegenwart dauerhaft verschwindet, schwups. In die Kruste hat er sich trotzdem gebohrt, und die Wiese ist Asche, das Bad ist verdampft. Die meisten Meerjungfrauen und Poseidoniden sind tot. Es wird eine Riesenuntersuchung geben, hab in der Zukunft grad schon nachgeguckt. Der Zores bringt unsere Abende ein Weilchen durcheinander, aber Folgen hat's sonst so gut wie keine. Außer, wie gesagt, daß du jetzt graduiert bist.«
    »Noch mal: Ich hab es nicht gemacht.«
    »Nein. Das stimmt. Aber wenn du es nicht ebensogut machen könntest wie ich, könntest du das hier alles«, eine großzügige Handbewegung, die das Gitter meinte und den Trichter und die beträchtliche Erhöhung, »gar nicht wahrnehmen.«
7. Lange her
    »Wenn man erst einmal so alt geworden ist wie ich«, sagte Sankt Oswald bei Padmasambhavas letztem Besuch im traumtopologischen Turm, »erkennt man, wer wirklich wichtig war, schlicht daran, wie sehr man die jeweiligen Leute vermißt. Ich meine, es sind keine mehr im alten Sinne gestorben seit dem Exodus – da gab's ein Massensterben, das stimmt, und ich habe einen Teil davon sogar gesehen. Heute lösen sich die Leute nur noch freiwillig auf, oder vereinigen sich, so wie jetzt die Burgen. Was sollen sie auch sonst machen? Sterben mag niemand gern, verlöschen, aber allen wird irgendwann klar, manchen nach Jahrzehnten, anderen nach Jahrhunderten, daß echte Unsterblichkeit einfach nicht zu haben ist – die Entropie, der Lauf der Dinge, die Beschaffenheit des Universums sind dagegen. Irgendwann hört alles auf, da nimmt man doch besser eines Tages die Gelegenheit wahr, dieses Aufhören in eine ... einigermaßen konstruktive Verwandlung zu überführen. Hmpf, nun, sie sind weg, oder nicht mehr dieselben, weil das so sein muß. Aber man vermißt dann eben die oder den, die man gekannt hat, wenn man länger währt als sie.«
    Er saß auf einem Sessel aus engmaschig aufgezogenen Zufriedenheiten.
    »Ich kann dir nur schwer erzählen, was wir waren und wie wir so wurden. Aber es fällt mir immer noch leichter, als es dir gefallen wäre, mir damals zu erzählen, wer du heute bist, wenn du etwa durch ein Loch in der Geschichte in meine ferne Vergangenheit schlüpfen

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