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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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beerdigen, bevor ich gestorben war, ich wollte nur deinen Segen, den Segen einer Fremden aus den Gräben, und eine Art Vergebung für das, was wir mit euch gemacht haben, und jetzt bin ich ein größerer Außenseiter als du: Ich finde nicht zu den Gelagen zurück, ich finde keinen Schlaf mehr, ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich verstehe jetzt, was ich tun muß. Du wirst eine Göttin und gleichzeitig ein Gott werden, wenn ich es nicht verhindere. Also muß ich es verhindern, bevor sie anfangen, dir mehr zu glauben, als du verdienst.«

    Wenn Lodas Osier in Cordula Späths Wahrnehmung mehr gewesen wäre als ein Radarpünktchen an der äußersten Peripherie ihres Interesses für Padmasambhava, hätte sie ihn vermutlich einen »armem Hund« genannt, auch wenn das Fell auf seiner Brust und seinen Armen eigentlich das eines Bären war.
    Seit der Trennung von der roten Echse, die jetzt ein roter Drache geworden war, rasierte er sich diese Haare täglich, er hatte Gefallen gefunden an der Vorstellung, so etwas wie ein aus einem anderen Jahrtausend in die Gegenwart Verschlagener zu sein, im Grunde ein Mensch, und beschäftigte sich mit der Geschichte, den Wissenschaften, den Künsten des homo sapiens.
    So verfiel er endlich auf die Idee, er könnte der Held einer Tragödie sein. Denn tragische Helden werden schuldlos schuldig, und seine Schuld, so glaubte er, der sich von Padmasambhava verlassen wähnte, obwohl er sie verlassen hatte, bestand darin, daß er der einstigen Geliebten ihren politischen Wahnsinn nicht ausgeredet hatte, als noch Zeit dazu gewesen war.
    Er hätte sie entschärfen müssen, diese Bombe, aber er war wie vom Donner gerührt gewesen – vielleicht hatte ihn ein banales Triebschicksal ereilt, vielleicht handelte es sich auch um ein größeres, abstrakteres Fatum, das ihn dazu verführt hatte, der Zerstörerin den Weg zu ebnen, zuerst mit seinem tatenlosen Zusehn, dann mit dem Entzug seiner Nähe, die sie doch vielleicht hätte erden, versöhnen können.
    Ihr erster Streich gegen die festgefügte Burgenordnung war erfolgreich gewesen, aber dabei konnte sie es, nun, da Pandoras Büchse einmal geöffnet war, nicht bewenden lassen.
    Jetzt erblickte Lodas Osier überall um (und sogar in) sich Zeichen des beschleunigten Verfalls.

    Seit Jahrhunderten fix für anderes veranschlagte Anteile am Gesamtleistungsaufkommen der Burgengesellschaft wurden plötzlich von neugegründeten »Ausschüssen zur Vorbereitung etwaiger Verteidigungsmaßnahmen« halbseidenster Zusammensetzung (junge Kaufleute, diskreditierte Wissenschaftler, religiöse Eiferer, sogar aus den Gräben zugezogene Echsen) aus dem Rechenzeitpool abgezweigt, Foren zerbrachen daran, Cliquen, intimste Beziehungen.
    Der Festkalender geriet durcheinander, als manche Burgen das offizielle Ende des experimentum crucis zu einem der Hohen Tage machen wollten (das wäre dann der siebte gewesen, oder, in den Burgen II und V, die immer noch Esprit begingen, den höchsten Feiertag der Hunde, der achte).
    Die mit soviel Enthusiasmus gegründeten neuen Vereinigungen zur Verbesserung der Erforschung des energetischen Haushalts befanden sich, da dort viele Bewundererinnen und Anhänger Padmasambhavas auf Leute trafen, die noch immer Ressentiments wegen der (langsam nachlassenden) Beben hegten, schon wieder in Auflösung. Verdiente Geo- und Ökologen sprangen ab, Phantasten mit geschraubten Ideen von »militärischer Wetterforschung« kamen dazu und polarisierten die Übriggebliebenen erneut.

    Aber nicht nur die Zerfallsprozesse und Verteilungskämpfe widerten Lodas Osier an. Fast noch verheerender fand er, daß im zunehmenden Chaos Ansätze einer neuen, anderen Ordnung erkennbar wurden, ein böses Erwachen, Vorschein von etwas, das sich am Ende zu (er mußte Wort und Vorgang lange suchen, bis er sie in Chroniken entdeckte) Parteien- und gar Staatenbildung auswachsen mochte: Die vier äquatornächsten Burgen schlossen sich zu einer neuen politischen Einheit zusammen, der ersten marsianischen Republik, deren leitende Körperschaft ein Dreierrat sein sollte, welchem ein Individuum namens Drower Bogdanov vorsaß, ehemals Robotwart bei einem jüngst in zwei virtuelle Partiale zerfallenen und dauerhaft ins spintronische Netz absorbierten Aristoigranden (solche exzentrischen Formen der Selbstentleibung kamen alle fünfzig Jahre gehäuft vor, schienen sich allerdings in letzter Zeit übers Gewohnte hinaus zu vermehren).
    Schon redete der Kerl davon, daß Padmasambhava

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