Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
gesagt … Oder haben sie mich beleidigt? Na, auf jeden Fall packt mich dieser riesige Teutone bei der Kehle und knallt meinen Kopf auf den Tisch. Aber sie sind Gäste, und ich nicht, und sie haben ein paar Nutten und außerdem eine ellenlange Rechnung, und dann werde ich von ein paar bulligen Typen vor die Tür gesetzt.«
»Und du warst vernünftig und bist nach Hause gefahren?«
Nein. Leo hatte draußen vor dem Hotel einen schwarzen Mercedes mit deutschem Kennzeichen entdeckt und kurz entschlossen das Wort ARSCHLOCH – er konnte Deutsch und wusste es zu benutzen – auf die Motorhaube gekratzt. Damit hätte die Sache erledigt sein können, aber Leo hatte die gloriose Idee, wieder hineinzugehen und seinen Scherz zu erklären. Er war verwirrt, als die Deutschen lachten, und als zwei rumänische Polizisten erschienen und draußen mit ihren Schlagstöcken auf seine Arme und Beine eindroschen, dämmerte ihm, dass sein Streich nach hinten losgegangen war. Das Auto gehörte dem rumänischen Botschafter in Deutschland, der im Athénée-Palast Minister bewirtete. Leo konnte froh sein, dass es bei einer Nacht im Knast und maßvollen Prügeln geblieben war. Er hatte mit seinem Zellengenossen, einem gutmütigen, sicher in Dienst der Securitate stehenden Betrunkenen, eine Flasche Tsuica geleert, und nun hielt er sich wieder am Ort seines Verbrechens auf.
»O ja …«, beschloss er seinen Bericht grüblerisch, »es hätte viel schlimmer kommen können.«
Die Club-Sandwiches wurden gebracht, wankende Türme aus Toast und Fleisch. Warum hatte Ionescu Leo unbedingt aus dem Gefängnis holen wollen? Und was, um diesen Gedanken fortzuspinnen, konnte ein alter Universitätsprofessor in dieser Hinsicht schon tun?
»Ja, Ionescu ist ein guter Mann. Er kümmert sich um solche Angelegenheiten. Falls du jemals Ärger hast, und ich meine: fetten Ärger, dann wende dich an ihn.« Was Leo danach sagte, erschreckte mich: »Manchmal ist es hilfreich, einen Oberst der Securitate als Fakultätsleiter zu haben.«
Er weigerte sich, ausführlicher zu werden. Ich wollte weitere Einzelheiten hören, Hintergrundinformationen, Geschichten. Aber er sagte nur: »Ich habe dir alles erzählt, was ich weiß.« Was an diesem Ort und zu dieser Zeit bedeutete: »Ich werde nicht mehr sagen.«
Ich gab Leo meine Wohnungsschlüssel und sah zu, wie er in eine Straßenbahn nach Herastrau sprang. Sein Gürtel befand sich noch auf der Polizeiwache, und er hielt die Hose mit der einen Hand, während er mit der anderen nach der Haltestange der anfahrenden Straßenbahn griff. Manche Menschen kennt man viele Jahre. Sie können sich grundlegend ändern, aber es gibt immer ein Bild, das für sie bezeichnend bleibt. Was Leo betrifft, so war es dies.
Im Seminar kam ich an Ionescus Büro vorbei und verharrte kurz vor der offenen Tür, als könnte mir ein weiterer Blick auf seine Bücher und Möbel etwas über sein geheimes Leben verraten. Er saß am gewohnten Platz, vor den geöffneten Fenstern, deren Gardinen wie Geister hinter seinem Rücken flatterten. Seine Brille balancierte auf der Nasenspitze, und er hob den Blick vom Buch, ohne den Kopf zu bewegen. »Ja?«, sagte er so unverfänglich, dass ich mich fragte, ob der ganze Vormittag nur ein Tagtraum gewesen war.
Ich rief Leo an, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Als er abnahm, hörte ich im Hintergrund laute Musik und das Rauschen des Wasserhahns der Badewanne. »Großartig. Danke. Ich mache mich gerade frisch!« Er versprach, ein Abendessen vorzubereiten. Ich stellte mir eine Mahlzeit aus halb aufgetautem Brot, Baked Beans und Sardellen vor – das einzige, was Leo in seiner Küche hortete. Das war schlimm genug, aber seine Spezialität war Chicken Chassewer , Schassör-Hühnchen. Ich hatte es noch nie gegessen, Ionescu aber schon: »Sie irren sich, wenn Sie glauben, Leo würde diesen unglückseligen französischen Namen nur falsch aussprechen. Ein Happen von diesem Chicken Chassewer , und Sie wissen, dass es nicht anders heißen kann.«
Cilea betrat mein Büro eine Stunde später als vereinbart und ohne anzuklopfen. Draußen wartete ein Auto mit laufendem Motor und einem Fahrer mit hellblauer Jacke und Mütze, der uns zum Botanischen Garten fuhr. Er hielt direkt davor, auf den knallgelben Lettern des Wortes PARKVERBOT.
Cilea ergriff meine Hand. Ich zuckte bei ihrer Berührung zusammen, was ihr zweifellos bewusstmachte, wie sehr ich sie begehrte. Sie setzte ihre Sonnenbrille ab, lächelte auf die
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