Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
fröhlich. Die Duftnote seines morgendlichen Gläschens Tsucia wurde nur unzureichend von seinem nach Fliegenspray riechenden Eau de Cologne überdeckt. »Unser Freund Leo hat sich in eine missliche Lage manövriert. Sollen wir ihn gemeinsam aus seiner gegenwärtigen Unterkunft holen?«
»Und wo befindet sich diese?«
»Im Hauptquartier der Polizei in Bukarest-Mitte, wie es scheint.«
Ionescu bestellte einen Wagen. Während der zwanzig Minuten, die wir darauf warteten, tippte er am Schreibtisch vor sich hin, ohne mich wahrzunehmen, und futterte dabei eine Portion Apfelstrudel. Er griff zum Telefon und führte ein kurzes, abgehacktes Gespräch, aus dem ich nur Leos Namen und die förmliche Anrede Domnul heraushören konnte, mit der er irgendein ranghöheres Tier anredete und die eigentlich längst abgeschafft und durch das Wort Tovarășul , Genosse, ersetzt worden war. Aber es war immer noch nützlich, sie zur Hand zu haben, wenn man sich, wie so oft in diesem Land, in einen Bittsteller verwandelte.
»Also – wollen Sie mir jetzt erzählen …«, setzte ich an, als wir endlich im Auto saßen.
Ionescu schnitt mir das Wort ab. Er legte einen Finger vor seine Lippen und dann auf ein Ohr, betrachtete mit übertriebenem Interesse einige Lkws, von denen gerade Zementsäcke abgeladen wurden.
»Gut, dass man so viele Baustellen sieht. Eine ordentliche U-Bahn ist genau das, was Bukarest braucht.«
Obwohl es nur mich und den Fahrer gab, tat Ionescu, als würde er zu einer Gruppe von Fremden sprechen, eine sehr vernünftige Maßnahme, denn man musste damit rechnen, dass das Auto verwanzt oder der Fahrer ein Informant war. In dieser öffentlich-privaten Tonlage war hier jeder geübt. Man benutzte sie für inhaltsleere Aussagen, und sie blieb folgenlos, egal, ich wessen Gesellschaft man sich befand. Diese Dialoge zweiter Klasse waren in ihrer Banalität fast so durchsichtig, rein und bedeutungslos wie ein Glas Mineralwasser. Wir alle führten sie. Flaubert hatte davon geträumt, ein Buch über nichts zu schreiben, was sich als unmöglich erwies, weil die Sprache zu eng mit den Dingen verflochten ist. Doch in Rumänien hatte man Flaubert beim Wort genommen.
Vor dem Bahnhof stand eine Statue »Des Genossen« in weißem Marmor, die das wenige beherrschte, was ringsumher vorhanden war, und vor dem Hintergrund der Bruchsteine und halb fertigen Säulen geradezu osymandisch wirkte. Ein Roma stand auf einer Trittleiter und wienerte die faltenlose Stirn des Conducătors . Statuen Ceaușescus hatten stets die anderthalbfache Lebensgröße. Man fühlte sich klein daneben, aber nicht unnatürlich klein – man wurde auf eine zwar menschliche, aber unbehagliche Art zusammengestutzt. Saddam Hussein oder Kim Il Sung ließen sich zwanzig Meter hohe Statuen errichten; nicht so Ceaușescu. Er sorgte dafür, dass er aussah, als wäre er einfach nur anders, eine höhere Art von Mensch, was zu dem Führer eines atheistischen Staates passte, in dem man nicht an das Übernatürliche, sondern an das Übermenschliche glaubte. Was die Statuen Ceaușescus aus der Nähe so einschüchternd und beunruhigend wirken ließ, war ihre Bescheidung auf ein bestimmtes Maß.
Wir erreichten das Polizeigelände; bei der Kontrolle wirkte Ionescu angespannt, klammerte sich an die Armlehnen im Dacia. Er brauchte einen Tsuica, rauchte stattdessen jedoch eine Carpati nach der anderen. Er bat den Fahrer, vor dem Gebäude zu warten, ergriff mich beim Ellbogen und trat durch die Doppeltür.
Wir kamen an mehreren Kontrollbeamten vorbei, und Ionescu zückte jedes Mal den Ausweis. Ich glaubte, er hätte Leos Freilassung vorab telefonisch organisiert, verstand aber kein Wort der geflüsterten Handel. Ich nahm nur wahr, dass wir Wache um Wache problemlos passierten. Wenn Ionescu seinen Ausweis aufklappte, erhaschte ich jedes Mal einen Blick auf Dollarscheine: ein Schmetterling mit Flügeln aus Bargeld. Wir drangen immer tiefer in das Gebäude ein und erreichten schließlich einen Fahrstuhl, so klein, dass er nur von einer Person benutzt werden konnte. Während ich darin stand, überkam mich kurz die Angst, dass es eine Falle, dass ich hier für immer gefangen sein könnte, aber der Fahrstuhl schoss wieder nach oben und holte Ionescu nach. Er bewegte sich, als würde er solche Orte gut kennen. Die Frage war nur: Von welcher Seite der Gitterstäbe?
Schließlich erreichten wir unser Ziel: einen langen Flur, von dem weitere schmale, vergitterte Flure abzweigten. Ich hatte
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