Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
von einem Mann im grünen Overall, mit Funksprechgerät und Pistole bewacht wurde. Sogar die Gärtner wirkten paramilitärisch. Die Nomenklatura hatte ihre eigenen Geschäfte, Clubs und Reisebüros, ihre eigenen Schulen, Restaurants und Kurorte. Und allem Anschein nach hatte sie im Botanischen Garten sogar ihre eigenen Gewächshäuser.
Im Inneren stand eine Pflanze, die nur alle zehn Jahre blühte. Wir erblickten sie am Ende eines solchen Zyklus; sie begann gerade sich einzurollen und auf die nächste Ruheperiode vorzubereiten. Es gab Insekten, die nur einen halben Tag lebten, deren Dasein eine emsige Miniatur des Lebens war, und es gab Pflanzen wie diese, die Jahrhunderte alt wurden, aber nur alle zehn Jahre für eine Woche auflebten. Ihr ganzes Leben verdichtete sich in einem Kranz von Blütenblättern, der einen zarten Stempel umschloss. Ich fand sie unscheinbar – ein Viertel Blume, drei Viertel Nimbus –, aber sie war selten genug, um ganz allein in diesem Gewächshaus zu stehen. Während der restlichen neun Jahre und einundfünfzig Wochen mussten sich Schaulustige mit einem Farbfoto in einem Holzrahmen begnügen. Der Begleittext verkündete stolz, dass es weitere Exemplare in den Tuilerien und im Botanischen Garten der Universität von Oxford gab. Eine rechts davon stehende Glasvitrine präsentierte ein verblasstes Zeitungsfoto aus dem Jahr 1979, auf dem sich Nicolae und Elena Ceaușescu über die Blume beugten, und eine vergilbte Aufnahme Königin Maries von Rumänien, die einen Topf mit dem noch jungen Sprössling oder einem seiner Vorfahren hielt. Wir schwitzten am ganzen Körper, weil ein Aufseher regelmäßig Wasser auf ein Tablett mit glühenden Kohlen träufelte. Meine Haut prickelte in der stickigen Hitze. Dieses Gewächshaus roch so muffig wie ein Bett nach dem Sex, wie verbrauchte Luft.
Später versuchte ich, sie auf den Mund zu küssen. Sie wandte sich ab. »Bitte versuch nicht, mich zu küssen.« Sie klang weder beleidigt noch verletzt; für sie schien die Abwehr plumper Annäherungsversuche etwas ganz Normales zu sein.
Cilea fuhr mich am frühen Abend nach Hause. Ihr Fahrer musterte mich im Rückspiegel aus Augen, die halb unter dem Mützenschirm verborgen waren. Auf der Calea Victoriei blieben wir stecken: Eine lange Menschenschlange folgte dem Boulevard mit langsamen Schritten, auf beiden Seiten von Soldaten abgeschirmt, die unablässig in Trillerpfeifen bliesen. Die Menge schien im Takt einer unsichtbaren, lautlosen Kapelle oder wie in einer kollektiven Halluzination dahinzutrotten, halb wach und halb von Langeweile betäubt. Manche hielten Stangen, andere hoben und senkten gleichzeitig die Fäuste. Eine Frau mit Lautsprecher und Stoppuhr befahl ihnen, in genau bemessenen Abständen stehen zu bleiben, weiterzugehen, die Arme zu schwenken. Sie trug einen Trainingsanzug, wirkte wie die Kreuzung zwischen einer olympischen Kugelstoßerin und einer Majorin des Heeres und war vermutlich beides. »Sie üben für den Ersten Mai«, sagte Cilea. Die Frau stampfte auf uns zu und warf einen Blick in das Auto. Der Fahrer hielt ihr einen Schrieb unter die Nase, worauf sie nickte, zurückrannte und den Soldaten etwas zubrüllte, die darauf die Menge teilten, um uns durchzulassen. Sie salutierte, als wir vorbeifuhren. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, dass sie uns sowohl bewundernd als auch angewidert nachstarrte.
Cilea ließ mich vor meinem Haus aussteigen, verabschiedete mich mit einem Kuss auf die Wange und einem Wink. Das war alles. Die verheißungsvolle Spannung des Nachmittags flaute ruckartig ab. Mein Kopf schmerzte vom Wein, mein Mund war knochentrocken. Ich holte tief Luft, bevor ich in meine Wohnung zurückkehrte.
Leo lag in meinem Bademantel auf dem Sofa. Sein bläulich schimmerndes Auge war noch zugeschwollen, aber sein Mund sah besser aus. Er entließ einen ausgedehnten Furz, der von meinem Bademantel gedämpft wurde, und glitt dann seitwärts vom Sofa. Durch den Spalt im Mantel erblickte ich seine geschwollenen hellrosa Hoden und auf seinem Oberschenkel einen blauen Fleck mit dem Umriss einer Stiefelsohle. Im Aschenbecher lagen zwei Zigaretten, und neben einem Becher der britischen Botschaft stand eine cafetière , halb voll mit kaltem, pappigem Kaffeesatz.
»Auf der Calea Victoriei läuft eine bombastische Show«, sagte Leo, als er den Kessel aufsetzte. »Eine Wuchtbrumme, ein geschlechtsumgewandelter Breschnew, lässt die armen Teufel im Gleichschritt marschieren wie bei der
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