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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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aus vorkommunistischen Zeiten verhalf. Manche wurden inventarisiert und eingelagert oder ausgestellt, aber auf der Rückseite des Etiketts war der wahre Besitzer durch einen ausgefeilten, von Leo entwickelten Code festgehalten: hier ein Minister, dort ein General, Politbüromitglieder im Ruhestand, Künstler, Theaterdirektoren und Schriftsteller. Nur Leo wusste, wem was gehörte.
    Hochrangige Staatsbeamte ließen sich von Leo helfen, wenn es darum ging, Möbel des ancien régime , Ikonen oder andere Kunstwerke aufzubewahren, und kamen alle paar Wochen, um ihren Besitz zu bewundern. Der fette Arbeitsminister, ein Mann mit den fleischigsten und am wenigsten von Arbeit zeugenden Händen, die ich je gesehen hatte, bewunderte in Begleitung seiner jeweils neuesten Geliebten regelmäßig die Schmuckstücke, die Leo in seiner Wohnung verstaut hatte. Fettleibig, fröhlich und ungeniert korrupt, wie er war, tauchte er jeden Monat mit einer anderen Minderjährigen auf. Was das Geschäft betraf, so war Leo nicht wählerisch, aber es gab gewisse Personen – vor allem Minister und Zuhälter –, nach deren Besuch er sich stets die Hände wusch.
    Leo veranstaltete in seiner Wohnung Auktionen, die das Flair von Partys hatten. Man kam, um zu kaufen oder zuzusehen, wie andere ihr Geld verpulverten, um in den Besitz von Fragmenten aus der alten Welt zu gelangen. Leo stellte die Stücke aus, ein jedes mit Preis und kurzer Erläuterung, die Herkunft und Datierung umfasste, und wartete dann auf die Gebote, die ihm während der Party heimlich, still und leise unterbreitet wurden. Niemand wusste, wer welches Objekt gekauft hatte: »Anonymität inklusive«. Gebote wurden als Plauderei getarnt, und die Liste füllte sich peu à peu mit den kleinen, roten »Verkauft«-Aufklebern. Objekte, die man nicht ohne weiteres transportieren konnte, wurden fotografiert, die Fotos auf dem Tisch ausgelegt und wie pornographische Schnappschüsse herumgereicht. Während der ersten Auktion, der ich Anfang Mai beiwohnte, verkaufte Leo einen Lettner aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der aus einer abgerissenen Kirche stammte. Käufer war der Minister für Kulte, der den Abriss befohlen hatte und den Lettner in sein Schlafzimmer stellen wollte.
    Leo kannte einen Querschnitt der rumänischen Gesellschaft: Costanu, der alle Museen unter sich hatte, ein kultivierter und melancholischer Mann, der in seinem winzigen Büro in der Nationalgalerie Zuflucht suchte und Gedichte las, eingeigelt in die Atmosphäre der von ihm idealisierten dreißiger Jahre; das Tennis-Ass Nicolescu, für den Leo Mercedesteile, Kleider von Burberry und Champagner besorgte; Ilie, der skrupellose Zuhälter, der Ausländer durch sein Netzwerk von Mädchen und von der Securitate abgesegneten Amüsierlokalen mit Sex und schlechten Drogen versorgte und genau diese Ausländer in flagranti fotografieren ließ, damit die Geheimpolizei sie erpressen konnte. Leo hatte diverse rumänische Gesandte und Botschafter an der Angel, die ihm einen Gefallen schuldeten, weil er ihnen mit Hilfe seines Netzwerks von Roma und Polen westliche Produkte beschaffte. Für solche Menschen waren die schwerbewachten Landesgrenzen kein Hindernis. Stereoanlagen und Küchengerät von Magimix kamen aus Deutschland oder Österreich, Kühlschränke mit Gefrierfach und Waschmaschinen überwanden den Stacheldraht. Ich stellte mir vor, wie Leos »Turbo-Polen« eisberggroße Gefriertruhen auf den Dächern ihrer winzigen Polski-Fiats transportierten: Ameisen, die Kadaver, zehnmal so groß wie sie selbst, in ihre unterirdischen Speisesäle schleppten. Leo leitete auch die Überführung eines Whirlpools mit einem Durchmesser von zehn Metern aus einem deutschen Luxusbadezimmer in eine Villa in Snagov, in den Außenbezirken Bukarests. Leo vermutete, dass der Whirlpool für die Bude bestimmt war, in der Nicu Ceaușescu seine Junggesellen-Wochenenden verlebte. Letzte Gewissheit hatte er zwar nicht, aber für den Fall der Fälle pinkelten er und seine Leute in den Pool, nachdem sie ihn installiert und mit Wasser gefüllt hatten. Leo taufte ihn auf den Namen »Whirlpool der Geschichte«, als er seine von Bier gefüllte Blase erleichterte.
    Der bemerkenswerteste Mensch, den ich durch Leo kennenlernte, war »La Princesse«, eine Aristokratin, die dreißig Jahre in Paris gelebt hatte und angeblich die letzte Geliebte Paul Valérys gewesen war. Sie hatte den Fehler begangen, gegen Ende der sechziger Jahre nach Bukarest zurückzukehren, denn

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