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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Schweiß nur so aus den Hautfalten troff, strahlte Kraft und barbarische Bosheit aus und schien beides ausgiebig angewendet zu haben. Seine Augen standen eng beieinander; jeder andere hätte dadurch dümmlich gewirkt, ihm aber verlieh dies eine Ausstrahlung primitivster Verschlagenheit – es waren die Augen eines Mannes, der in seinem Gegenüber immer die niedersten Instinkte suchte und fand. Der Stoppelschnitt betonte die Massigkeit seines Schädels, der im Nacken mit fünf dicken, an rosa Fahrradschläuche erinnernden Fettwülsten in den Hemdkragen überging: ein slawischer Mussolini.
    »Stoicu, Ion Stoicu … Innenminister und unter anderem Chef von Cileas Vater. Er ist ein Arschloch vor dem Herrn: ein fetter, primitiver Bauer, aber leider kein Dummkopf. Er ist einer dieser Leute, die so furchterregend sind, dass sie nicht töten müssen, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn er jemanden tötet, dann als Bonus. Er hat sein Ministerium auf ein kleines, von Hass verseuchtes Dorf reduziert … Inzwischen säubert es sich von allein – wie manche Hühner. Er ist Ceaușescus zuverlässigster Scherge. Stoicu hat Ceaușescu alles zu verdanken, und er ist ihm hundertprozentig treu ergeben.« Leo hatte die Augen halb geschlossen und sprach so langsam, als würde er aus Akten vorlesen, die er in einem inneren Archiv aufbewahrte. »Während der vierziger Jahre war er ein Kleinkrimineller, ein faschistischer Judenhasser, der in Iași eine Synagoge niedergebrannt und später gemeinsam mit Ceaușescu im Gefängnis gesessen hat, angeblich wegen Vergewaltigung. Offiziell war er ein enger Freund des jungen Nicolae, dem er half, die erfolgreiche Revolution loszutreten. In Wahrheit saß er während der Machtübernahme der Kommunisten im Knast, hat gewichst und überlegt, wie er noch mehr Juden umbringen kann. Angeblich werden Menschen, die Geschichte machen, von der Geschichte hervorgebracht … Kommet die Zeit, kommet der Mann . Aber das ist Quatsch. So funktioniert es nicht. Stattdessen robbt die Geschichte auf dem Bauch dahin und klaubt Parasiten auf … Stoicu, Ceaușescu … alle, durch die Bank … Ungeziefer auf dem Schambein der Geschichte.«
    Das Flugzeug war gelandet. Gebückte, rückwärts stolpernde Helfer rollten einen roten Teppich aus. Es handelte sich um ein Zivilflugzeug mit militärischem Tarnanstrich: Grüne und khakifarbene Flecken, unter noch denen die Abkürzung der nationalen jugoslawischen Fluglinie durchschimmerte, JAT.
    Stoicu stand da, flankiert von seinen Stellvertretern, bereit, die Delegation zu empfangen.
    Leo leerte sein Glas. »Ceaușescu hat ihm die Leitung der KP in Iași übertragen. Ihn zum Bürgermeister ernannt. Er hat die Partei gesäubert, die Synagogen geschlossen und begonnen, Juden an Israel zu verkaufen. Dann hat Ceaușescu ihn nach Bukarest geholt und zum Innenminister gemacht. Ein echtes Stück Scheiße – und einer der Leute, die für die Kaltstellung des alten Trofim gesorgt haben, der ja selbst eine ziemlich windige Gestalt ist … Stoicu hat zu Beginn der siebziger Jahre die erste ›Rumänisierung der Verwaltung‹ geleitet. Sein Job bestand darin, Juden, Ungarn, Deutsche und Moldawier sowie alle anderen, die keine hundertprozentigen Rumänen waren, von Regierungsposten zu entfernen. 1972 ist Stoicu in die Villa eines jener Politbüromitglieder marschiert, die gegen Ceaușescu waren, und hat den Mann zweimal in den Kopf geschossen. Er hatte eine Affäre mit dessen Frau, aber dem Großen Boss hat er weisgemacht, der Typ hätte ein Komplott geschmiedet. Er wurde befördert, bekam die Frau und schickte seine Ehefrau in die Wüste. Geschäft und Vergnügen … Bald darauf hat er auch die neue Frau abserviert und eine Nichte des früheren Präsidenten Gheorgiu-Dej geheiratet.«
    Stoicu konnte mit seinen fetten Fingern ganz sicher keinen Abzug betätigen, aber vielleicht baute man hier Pistolen in Übergröße.
    Paramilitärische Leibwächter im Kampfanzug und mit verspiegelten Sonnenbrillen verließen als erste das Flugzeug; dann kamen ein Dutzend Beamte in den mausgrauen kommunistischen Standardanzügen, ohne Krawatte und mit bis zum Hals zugeknöpftem Hemd. Sie wurden von jungen Männern in Jeans und Lederjacke gefolgt, mit westlichen Uhren, Biker-Boots und viel Gel im Haar. Einer, der seine Jacke über der Schulter trug, hatte die Tätowierung eines Adlers auf dem Oberarm. Zuletzt erschien ein kleiner Mann mit stahlgrauem Bürstenhaarschnitt und rundem, fleischigem Gesicht, der

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