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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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blies. Dann sah ich mich um. Die Klebezettel, die ich an meinem ersten Tag vom Telefon gezupft hatte, hingen an der Wand, und mir wurde plötzlich bewusst, dass es Cileas Nummer war, die Belanger in seiner zackigen Handschrift notiert hatte. Ich hatte geahnt, dass sie zusammen gewesen waren – hatte es auf die hier übliche Art bemerkt, wie aus den Augenwinkeln, wie nebenbei, und es hatte mich nie gestört. Nun aber meinte ich, nicht im wahren, ja nicht einmal in meinem eigenen Leben, sondern in einer Wiederholung oder Fortsetzung mitzuspielen.
    Ich starrte Cileas Nummer an, widerstand jedoch dem Drang, sie anzurufen. Sie würde auch so bald wissen, dass ich noch da war. Der Gedanke, nicht abgeflogen zu sein, plagte mich immer weniger. Vielleicht hatte Leo recht: Das Flugzeug würde landen, und mein Koffer säße, seinem Schicksal überlassen, im Limbus der vergessenen Habseligkeiten in der Falle. Dazu das Haus, das Leid und Trauer verstrahlte wie ein lecker Reaktor … Ich war wenigstens außer Sichtweite, wenn auch nicht ganz außer Reichweite.
    »Sei froh, dass du davongekommen bist.« Leo klopfte, trat ein, setzte sich und legte seine Schuhe auf meinen Tisch, wie üblich alles in einer einzigen fließenden Bewegung.
    »Wovon?«, fragte ich, hob den Kopf und rieb meine Augen. Belangers Zettel klebte noch an meinen Fingern.
    »Von … wo auch immer du gerade warst.«
    »Wer war Belanger? In Wahrheit, meine ich? Was hat er hier getan? Abgesehen davon, in meinem Büro zu arbeiten, in meiner Wohnung zu leben und meine Freundin zu vögeln?«
    »Logisch und chronologisch betrachtet müsste er dich das wohl fragen.« Wir gingen zur Kantine und bestellten zwei Ersatzkaffees.
    »Ich habe mich detektivisch betätigt«, sagte Leo stolz. »Was wir vorhin gesehen haben, war kein offizieller Jugo-Besuch, sondern eine serbische Delegation. Das war Milošević, der neue serbische Präsident. Er trifft sich mit Ceaușescu, wird brüderliche Grüße austauschen und so weiter. Aber ich wette mit dir um ein Steak im Capsia, dass das nicht alles ist. In Jugoslawien wird bald die Hölle los sein, es wird Stück für Stück auseinanderbrechen. Ich schätze, der neue Mann dreht die Runde in befreundeten sozialistischen Ländern, um zu prüfen, auf wen er sich verlassen kann, wer seine Nase nicht in seine Angelegenheiten stecken wird. Es gibt da ein altes jugoslawisches Sprichwort: ›Serbien hat nur zwei Verbündete – Gott und die Griechen.‹ Vielleicht könnte man noch Rumänien hinzufügen. Aber wir werden diese Leute sowieso kaum zu Gesicht bekommen.«
    Wir begegneten ihnen früher als gedacht.
    Abends ging ich mit Leo ins InterContinental. Wir waren selten dort. Leo betrachtete es als feindliches Terrain, und außerdem war es das Hauptquartier einer rivalisierenden Schwarzmarkt-Gang, der mächtigsten des Bukarester Untergrunds – von der Partei geschützt, vielleicht sogar geführt. Von hier aus steuerte Ilie, der Zuhälter, seine Mädchen, von hier aus brachte er seine Drogen an den Mann.
    Ich hatte unterwegs an der Musikhochschule gehalten, weil mir eingefallen war, dass Petre probte, und ihn eingeladen, uns zu begleiten. Seine Band konnte nur proben, wenn sie den Konzertsaal als Kammermusikensemble buchte. Jedes Mitglied von Fakir spielte auch klassische Musik, und nach einer Stunde – sobald Micu, der Portier, die Tür hinter sich geschlossen und sein Hörgerät abgesetzt hatte – wurden die Gitarren und Synthesizer, das Saxophon und die Drums hervorgeholt.
    Aber jetzt, im halb leeren Nachtclub im Keller des Hotels, wurde mir bewusst, dass es ein Fehler gewesen war, Petre einzuladen.
    Cilea war mit einigen Freunden da: Elena Ralian, Tochter des Parteichefs von Bukarest und, was Kleidung, Frisur, Parfüm betraf, eine Kopie Cileas – sie war eine verlorene Seele, die ihre Identität zusammenklaubte, indem sie einzelne Details bei anderen abkupferte; der Sohn Ion Stoicus, ein gestörter Typ mit den Augen eines Frettchens und der Ausstrahlung eines Rachsüchtigen ohne jeden Rachegrund; der stumpfsinnige Nestor Postelnicu, Sohn des Außenministers, dessen Spitzname übersetzt so etwas wie »Zwei Bretter« hieß. Dazu ein paar andere Leute, alle westlich gekleidet und parfümiert, aber immer von der Aura der Exklusivität umgeben. Nur Cilea war authentisch. Sogar Leo mit der Monocom-Hose, dem gelben Nylonhemd und den bulgarischen Mokassins wirkte westlicher als fast alle anderen Gäste. Seine Kleidung war das visuelle

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