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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Gegenstück zu einem immer lauter spielenden Orchester, aber sie passte zu ihm.
    Die Jugend der Nomenklatura war an diesem Abend geschlossen ausgeschwärmt, um den wilden Nachwuchs der serbischen Häuptlinge zu unterhalten, die alle wie die Löcher soffen und die Mädchen vollquatschten. Die Callgirls an der Bar warteten auf den Drink, der die letzte Hemmschwelle des potenziellen Freiers überwand. Ilie, der Zuhälter, hatte seine beste Ware ins Schaufenster gestellt. Seine Mädchen wirkten professionell, sinnlich, zu allem bereit. Sie drängten nicht, sondern warteten ab.
    Als Cilea mich erblickte, sah sie mich erst ungläubig und dann wütend an. Sie schüttelte den Kopf, um mir zu sagen, dass ich auf Abstand bleiben sollte.
    Leo hatte sie schon erspäht. »Böser Fehler«, sagte er und wollte mich aus der Bar bugsieren. »Versuchen wir es lieber im Athénée-Palast … hat mehr Klasse, der Laden.« Aber ich schob mich an ihm vorbei, zeigte auf einen freien Tisch.
    Stoicu, Constantin und die Serben aßen oben, während sich die jeunesse dorée hier unten amüsierte. Eine Reihe von Eiskübeln stand auf dem Tisch. Wenn eine Flasche leer war, stellten sie sie auf den Kopf und verlangten lautstark eine neue. Cilea saß sowohl zwischen ihnen als auch am Rand, rauchte, lachte höflich, sah auf die Uhr. Einer der Serben drängte sich dicht an sie, um einen Blick in ihren Ausschnitt zu erhaschen – vielleicht auch, um einen Vorgeschmack auf seine Beute zu bekommen. Er zündete ihre Zigarette an und sah ihr dabei tief in die Augen, berührte ihre Hand, als sie das Feuerzeug ruhig zu halten versuchte.
    Einer der jungen Serben ging quer über die Tanzfläche zur kleinen Bühne, auf der die angestammte Sängerin auftrat, »Doina die Diva«. Sie hatte ihre Show tapfer durchgezogen und sich von den primitiven Beschimpfungen nicht irritieren lassen. Leo kannte sie flüchtig – eine matronenhafte Frau, die sich jeden Abend in eine Lederhose und ein enges, die Brüste betonendes Hemd zwängte. Sie sang hymnische Popsongs wie »Total Eclipse of the Heart« und »I Need A Hero«, begleitet von einer Band, deren Mitglieder aussahen wie halb verhungerte Totengräber. Mit dem dick aufgetragenen Make-up und der riesigen Perücke wirkte sie wie ein Transvestit, war jedoch eine attraktive Frau. Machte das einen »Trans-Transvestiten« aus ihr?, fragte sich Leo. »Eine Stimme wie ein Sack voller Scherben«, witzelte er, aber Diona war eine Bukarester Institution. Nachdem die Bar geschlossen hatte, wurden manchmal die Vorhänge zugezogen, und dann kam ein neues Publikum aus Musikern, Studenten und Nostalgikern, für das sie die alten Volkslieder sang, die sie als Kind in Banloc gelernt hatte.
    Der Serbe stieg auf die Bühne und verscheuchte sie. Sie wankte auf ihren Stöckelschuhen würdevoll davon, doch ihr Fleisch war so eingeschnürt, das Leder so straff, dass sie sich nur in den Gelenken bewegen konnte, wie ein Roboter. Ich betrachtete die Gäste: ausländische Geschäftsmänner, deutsche Fernfahrer, verirrte Touristen und der eine oder andere Einheimische, der durch die Maschen des Netzes geschlüpft war, um zu schauen, wie die andere Hälfte der Gesellschaft lebte.
    Zu dieser späten Stunde machten sich die Männer an die Prostituierten heran. Einer der Fernfahrer, der regelmäßig auf der Route Frankfurt–Bukarest unterwegs war, hatte schon losgelegt. Er hieß Norbert oder »Norbert der Schwätzer«, denn er tat gern charmant und versuchte die Mädchen zu bezirzen, als wäre das Geld, das er ihnen zusteckte, keine Bezahlung, sondern ein Geschenk, das sie annehmen oder ablehnen konnten. Er spendierte ihnen ein Abendessen und eine Nacht im Luxushotel.
    Der DJ trat beiseite, als zwei junge Serben seine Anlage übernahmen und eine Art Ethno-Techno-Funk entfesselten. Die Serben kamen auf die Tanzfläche und legten etwas auf das Parkett, das atavistisch und brutal wirkte, eine Mischung aus Heavy-Metal-Headbanging und frenetischem Volkstanz. Sie beschlossen es mit einem Salut; zwei von ihnen zogen einen Finger über ihre Kehle.
    »Musik, zu der man Juden tötet«, flüsterte Leo angewidert. »Oder sind es jetzt Muslime?«
    Am hinteren Ende des Raums stand Petre mit offenem Mund in der Tür. Wie lange stand er dort schon? Das war mir peinlich, und ich hatte Schuldgefühle, aber dann wurde ich wütend: Dies war nicht mein Land; warum sollte ich mich für ihn verantwortlich fühlen? Doch er schien entsetzt zu sein, etwas in der Zukunft zu

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