Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Sie interessierte sich nicht für mein Leben abseits unserer Verabredungen. Aber das beunruhigte mich zugleich: Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was sie tat und mit wem sie sich traf, doch ihr Interesse an meinem Tun und Lassen ging nicht über höfliche Fragen hinaus. Für den Eifersüchtigen ist die Eifersucht der Beweis für seine Leidenschaft, die Echtheit seiner Gefühle. Unerwiderte Eifersucht ist ebenso schlimm wie unerwiderte Liebe.
Ich strich über ihren Oberschenkel, weil ich wissen wollte, ob ihre Aufforderung noch Bestand hatte. Sie spreizte ihre Beine, zog meinen Mund zu sich heran, und als ich sie aus dem Zimmer trug, ließ sie den Bildschirm nicht aus den Augen.
ELF
»Bist du dir sicher?« Leo hielt am Straßenrand und verstaute mein bisschen Gepäck im Kofferraum seines Škoda.
Ich war mir nicht sicher. »Natürlich – warum denn nicht?«
»Du lässt deine Kumpel zurück, die zuckersüße Cilea, das Urlaubswetter – wer weiß? Könnte ja sein, dass während deiner Abwesenheit eine Revolution stattfindet … Und wenn du zurückkehrst, ist alles futsch. Man reißt vielleicht das Haus ab, in dem du wohnst. Oder deine Freundin auf …«
Leo bretterte auf dem Otopeni-Boulevard dahin; der Zeiger des Tachometers zitterte vor 120 km/h, das Tempo der Motorkade. Es war heiß, die Reifen klebten auf der Straße, und als wir an einem Kontrollpunkt an der Stadtgrenze halten mussten, knallte mein Gepäck gegen die Kofferraumhaube. »Keine Sorge«, sagte Leo. »Du bist so analfixiert, dass wir zwei Stunden zu früh dran sind.«
Ich sollte zum ersten Mal heimkehren. Während der zwei Wochen in England wollte ich das Haus meiner Eltern zuerst entrümpeln, danach verkaufen und schließlich die Schulden meines Vaters begleichen. Ich hatte mich am letzten Abend von Cilea verabschiedet. Wir hatten den Athénée-Palast um zwei Uhr früh verlassen, und Titanu war uns im Dacia diskret gefolgt. Sie küsste mich auf den Stufen meines Hauses und stieg dann in das Auto, weil sie meinte, dass es Unglück bringe, mit jemandem in der Nacht vor der Abreise zu schlafen. Die Nacht war schwül und drückend gewesen, aber das Gewitter, das sie verheißen hatte, war ausgeblieben.
Leo parkte auf einem für Diplomaten reservierten Streifen vor dem Abfluggebäude. Die amtliche Genehmigung, die er vor die Windschutzscheibe legte, verkündete auf Englisch, Französisch und Rumänisch »Botschaftsangelegenheit« und verwies Zweifler an »Her Britannic Majesty’s Embassy, Strada Jules Michelet«, genauer an das dortige Konsulat. »Ich bleibe nicht lange. Ich bin nicht der Mann für Abschiede«, erklärte Leo.
Mein Flug ging erst in zwei Stunden. Ich gab meinen Koffer auf und setzte mich zu Leo an die Bar in der Transitlounge. Es gab fast keine Reisenden, und der Flughafen, erbaut aus Glas und Beton, war eine leere Hülle. Das übliche Bataillon von Beamten, die keine genauer benannte Pflicht hatten, saß oder stand in einer Haltung mürrischer Tatenlosigkeit herum. Ein aus Belgrad kommender Flug war angekündigt, und auf dem Asphalt wartete eine Reihe ministerialer Limousinen mit offener Fahrertür. Servierwagen mit Wein und Essen wurden in die VIP-Lounge geschoben und kamen leer wieder heraus. Gläser klimperten, Korken ploppten – obwohl die erwarteten Würdenträger noch gar nicht eingetroffen waren.
»Ich dachte, du wolltest nicht lange bleiben«, sagte ich zu Leo, obwohl ich ihn lieber bei mir gehabt hätte. »Abschiede liegen dir doch nicht, oder?«
»Begrüßungen schon eher, wie du weißt. Ich bin neugierig auf die Gäste. Hier hat sich eine Art Begrüßungskomitee versammelt, und es lohnt sich, die Augen offen zu halten … Sieht nach einer jugoslawischen Delegation aus.«
Leo bestellte eine Flasche Wein und schenkte uns ein. Was, fragte er, wolle ich während meines Urlaubs tun? Abgesehen von Haushaltsauflösung und Hausverkauf hatte ich keine Pläne. Einerseits hatte ich keine Lust auf diese Reise; andererseits waren meine Pläne in den Wirren meines neuen Lebens ein Halt gewesen.
Ich hatte gerade erst mit Petre Freundschaft geschlossen, aber wir hatten während der kurzen Zeit schon vieles unternommen. Er zog mich an. Im Gegensatz zu Leo, dessen Leben darin bestand, sich eine andere Welt auszumalen und diese punktuell durch Phantasie, Nostalgie und Schwarzgeld zu erschaffen, lebte Petre im Hier und Jetzt. Er schaffte es, in dieser Realität zu leben, ohne ihr zu entfliehen oder sich ihrer Schalheit und Grobheit
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