Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
größeren Zusammenhang. Ich weiß, dass Sie mich für einen jener Menschen halten, die diesen Ort zu dem gemacht haben, was er heute ist.« Er sah mich an, doch ich schwieg. Er sprach zu sich selbst – ich bot ihm nur den Zusammenhang, in dem er sich laut äußern konnte. »Alles hat seinen Preis, und damals hat der Preis gestimmt, aber es sollte nicht für immer so sein. Unterdrückung, ja, für eine Generation, vielleicht auch für zwei. Und einige Morde. Aber all das war kein Selbstzweck. Wir glaubten, viel Zeit zu haben – wir spielten langfristig. Aber es war nie ein Spiel.« Er schüttelte den Kopf. »Und es nahm kein Ende.«
»Werden Sie das aufschreiben? In Ihrem Buch, meine ich?«
»Ja, falls ich mich zu Hause noch an diese Worte erinnere.« Er lachte traurig und hakte sich bei mir unter.
Bei unserer Ankunft wollte Trofims Sekretärin gerade gehen. Ihre Frisur, die wie zemeniert wirkte, erinnerte an eine moderne, industriell angehauchte Plastik, und das Zimmer roch nach Haarlack.
Trofim verschwand in der bijou -Küche. Wie andere Leute, die nie einen Haushalt hatten führen müssen, starrte auch er die Küchengeräte, die er zur Hand nahm, endlos lange an, als würden sie irgendwann Gebrauchshinweise an das Gehirn übermitteln. Auf der Fensterbank stand eine nagelneue Kaffeemaschine, ein Designerstück in Silber und Schwarz, das ganz sicher nicht aus dem Monocom stammte. Trofim beäugte die Rückseite der Maschine, suchte nach einer Möglichkeit, sie mit Wasser oder Kaffeepulver oder beidem zu befüllen. Zehn Minuten später betrat er den Balkon mit dem gewohnten langstieligen arabischen Mokkatopf, der ihm von einer PLO-Delegation der UNO geschenkt worden war und aus dem nach Zimt duftender Dampf aufstieg.
»Heute ist das Vormittagsdiktat auf dem Computer. Es umfasst die letzten Olympischen Spiele. Ich schätze, dass noch ein Kapitel hinzukommt, was zwei weitere Wochen Arbeit bedeutet. Danach können wir über die nächsten Schritte nachdenken.«
Plötzlich fiel mir die Botschaft von Manea Constantin ein, und ich gab sie an Trofim weiter. »Ich weiß nicht, wie das zu deuten ist, aber nun wissen Sie immerhin Bescheid«, fügte ich so nebensächlich wie möglich hinzu, um meine Neugier zu verbergen.
»Das ist ganz einfach. Der Minister weiß oder glaubt zu wissen, dass ich etwas im Schilde führe, und möchte mir mitteilen, dass auch andere Leute im Bilde sind, Leute, die vielleicht – nun ja – weniger tolerant sind als er. Er macht mir ein Angebot, und ich muss ihm im Gegenzug auch etwas bieten.«
»Und was?«
»Das weiß er noch nicht; und ich weiß es auch nicht. Aber ich danke Ihnen für die Übermittlung – es ist eine gute Nachricht, nehme ich an.«
Wir saßen den ganzen Nachmittag an seiner Datei. Unsere Routine sah so aus: Zuerst fischte ich die aktuelle Datei aus dem Papierkorb des Computers; dann gingen wir den Text Absatz für Absatz durch, und Trofim diktierte seine Ergänzungen. Das dauerte gut drei Stunden. Danach kopierte ich den Text auf eine Diskette und verschob die Datei wieder in den Papierkorb. Am Ende ließ ich alles in der Bibliothek des British Council ausdrucken, einem hässlichen Fertigbau auf dem Botschaftsgelände.
Als ich das Gebäude an diesem Tag mit den ausgedruckten Seiten verließ, tauchte Giles Wintersmith hinter mir auf. Leo nannte ihn »der Eishauch«; nicht nur wegen seiner Gabe, in einem Raum für eisiges Schweigen zu sorgen, sondern auch wegen des kalten Schauders, der einen überlief, wenn er sich näherte. Diesen Schauder verspürte ich jetzt, und ich fuhr zu ihm herum: graue, wässerige Augen; bleiche, fettige, bis zur Durchsichtigkeit geschrubbte Haut; schmaler, spitzer Bart; Haare, die bei bloßer Betrachtung einen Fettfilm zu produzieren schienen. Wintersmith trug ein weißes, kurzärmeliges Hemd, weil der Botschafter mit dem Gestus eines Privatschuldirektors eine sommerliche Hemdsärmelordnung erlassen hatte. Unter seinen Achseln zeichneten sich halbrunde, bräunliche Schweißflecke ab, die Innenseite seines offenen Kragens glich dem Schmutzring einer Badewanne. Die käseweißen, pickeligen, starr vor der Brust verschränkten Arme ließen an tiefgefrorene Hähnchenflügel denken.
Wir waren inzwischen auf Seite 180 von Trofims Memoiren. Ich drückte die letzten fünfzehn Seiten gegen meine Brust, die einzigen Kopien, zwischen denen die Diskette mit den ersten zwei Dritteln des Buches steckte. Wintersmith bemerkte, wie ich die Tasche
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