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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Bedeutung zu finden, dass er sogar Bemerkungen über das Wetter auf ihren politischen Inhalt abklopfte. Leo scherzte, dass Popea alles, was er sage, eine Woche im voraus der »Arbeitsplatz-Konversations-Abteilung« der Partei vorlege. »Aber das kratzt mich nicht weiter, denn ich habe etwas gegen ihn in der Hand«, fügte Leo geheimnisvoll hinzu.
    Nachmittags traf ich mich mit Trofim im Park und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte. Ich hatte den Albtraum immer noch nicht abgeschüttelt, fühlte mich schwach und erschöpft.
    »Das oberste Gesetz einer gelungenen Säuberung besteht darin, dass sie willkürlich sein muss; das zweite Gesetz besagt, dass sie in eine Beförderung münden muss, die alle anderen Aspiranten gegeneinander aufhetzt, ohne die Partei mit hineinzuziehen; das dritte, dass sich die Leute so sehr den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie es dazu gekommen ist, dass sie nicht über die Ungerechtigkeit klagen. Klingt nach einem klassischen Beispiel für diese Gattung. Sehr hübsch.« Trofim legte ästhetische Maßstäbe an die Sache an, pries sie wie ein Kunsthändler ein erlesenes objet d’art .
    »Warum sollte man Ionescu feuern? Er hat eine weiße Weste, ist ein angesehener Akademiker und ganz offensichtlich ein treuer Parteigenosse …«
    »Ja, all das ist er auf seine Art. Möglicherweise hat es nichts mit der Universität zu tun, sondern ist eine Säuberung innerhalb der Securitate. Ach, die gute alte Zeit … Auf die Säuberung folgt die Interpretation der Säuberung.« Trofim setzte sich auf die Bank, entfachte seine Pfeife. »Wie ich sie vermisse, diese Intrigen und Hinterzimmermauscheleien, die parteiinternen Winkelzüge … Ich schätze, dass sich Ionescu als unzuverlässig und sprunghaft erwiesen oder seine Stellung in der Securitate dazu benutzt hat, seine akademische Karriere voranzutreiben. Es müsste aber genau umgekehrt sein. Er wurde immer bekannter, war immer beliebter, seine Studien wurden im Ausland veröffentlicht. Er hat die Zügel schleifenlassen! Man fürchtet ihn nicht, er wird geachtet, leitet ein glückliches Seminar, so weit das hier überhaupt möglich ist. So etwas fällt natürlich auf …«
    »Jeder weiß, dass er genauso skrupellos ist wie alle anderen. Ich habe ihn es selbst erlebt. Er kann es gut verbergen. Aber er ist wenigstens nicht durch und durch verkommen.«
    »Ich kann mich an Ionescus Anfänge erinnern. Als junger Dozent, lange vor Ceaușescu, in den späten Fünfzigern. Er war ehrgeizig und blitzgescheit und außerdem jemand, der immer sanft zu überzeugen wusste. Sein Vorgesetzter, ein liebenswerter, kultivierter alter Herr und guter Parteigenosse, war zugleich sein Mentor – ein Jude namens Serafim, der während der vierziger und fünfziger Jahre alle Säuberungen überstanden hatte. Er half Ionescu etliche Sprossen auf der Karriereleiter hinauf, sorgte dafür, dass er in Komitees saß, positionierte ihn. Er verschaffte Ionescu die begehrte Stelle im anglistischen Seminar, unterstützte seinen Aufstieg. Während der ›Rumänisierung‹ fand der alte Herr dann eines Tages bei der Ankunft im Büro seine Sachen draußen im Flur wieder – damals war man noch nicht so nett, alles in Kisten zu verpacken. Der Professor suchte sofort Ionescu auf. Er traf ihn vor dessen Büro an, das ebenfalls ausgeräumt worden war. ›Mein armer Freund‹, sagte der alte Herr zu seinem protégé , ›ich bedauere sehr, dich in diese Sache verwickelt zu haben. Für mich ist es zu spät, aber ich werde alles tun, um dich zu entlasten.‹ Wie man sich erzählt, schwieg Ionescu dazu. Er nahm Serafim die Schlüssel ab, ging schnurstracks in das frei gewordene Büro und schloss die Tür hinter sich. Wie finden Sie das? Der alte Herr glaubte, dass auch Ionescu der Säuberung zum Opfer gefallen wäre! Dabei hatte Ionescu die ganze Zeit gegen ihn intrigiert, um seinen Posten zu bekommen!«
    »Das kann ich nicht glauben«, sagte ich. »Ionescu hätte wenigstens erklärt …«
    »Was erklärt? Ich erzähle Ihnen die Geschichte, wie sie sich zugetragen hat. Auf diese Weise hat Ionescu seinen ersten Führungsposten bekommen. Danach hat ihn niemand mehr unterschätzt … Aber regen Sie sich nicht auf. Das Leben erzählt viele solcher Geschichten, auf jeden Fall hier bei uns. Jeder ist irgendwann an der Reihe.«
    Trofim ergriff meinen Arm. »Sie dürfen nicht glauben, dass ich nichts bereue. Das tue ich sehr wohl, aber was wir getan haben, stand – und steht immer noch – in einem

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