Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
umklammerte.
»Ein Bier?« Er versuchte sich an einem Lächeln – sein Mund mit den gelben Zähnen verzog sich zu einem schmallippigen, vampirartig lechzenden Grinsen.
Ich saß im »Shit and Hassle«, während Wintersmith an der Bar die Bestellung aufgab. Der Laden stank nach Qualm und Schweiß und schalem Bier. Geschirrtücher, die Feuchtigkeit ausdunsteten, ohne jemals richtig zu trocknen, hingen über den Zapfhähnen: Worthington’s, Skol, Guinness. Zahlreiche Brandflecke zeugten von Zigaretten, die auf dem Furnier der Tischplatte verglüht waren. Die Fenster standen offen, wollten aber keine frische Luft hereinlassen. Ein Pfeil steckte schlaff im Zentrum der Dartscheibe, und eine Ecke, in der man eine Puppe abwerfen konnte, diente als Spielbereich für Kinder. Hinter der Bar hing ein Kalender mit Mädchen von Seite drei. Wir hätten ebenso gut in einem Pub in Mittelengland sitzen können, nur dass dieser wie ein Filmset wirkte – man hatte das dumpfe Gefühl, dass die Kulissen jeden Moment einstürzen konnten. Hier verkehrten nicht nur Diplomaten, sondern auch das Sicherheitspersonal, meist ehemalige Polizisten oder Soldaten; Bauarbeiter, Maler und Tapezierer, aus der Heimat hierher beordert, um diesen oder jenen Flügel der Botschaft zu renovieren; Geschäftsleute auf Verkaufsreise, die Durst auf ein heimisches Getränk hatten. Ein paar Tische weiter ging ein Betrunkener, dessen Geordie-Dialekt den Nordengländer verriet, lautstark die Liste jener Leute durch, die reif für eine Tracht Prügel waren. Hinten im Raum sah die Frau eines Botschaftsangehörigen, anmutig, blass und ausgezehrt von Langeweile, ihren Kindern zu, die sich um ein Comicheft stritten. Ein Freitagnachmittag wie im Londoner Umland.
Wintersmith setzte sich. »Sie haben sich hier so richtig ins Getümmel gestürzt, wie?«, fragte er und winkte mit langen Fingern in Richtung Außenwelt. »Bei den Botschaftsveranstaltungen sieht man Sie selten. Wir laden immer interessante Leute ein, glauben Sie mir …« Sein Unterton verriet, dass er mich für arrogant hielt und glaubte, ich wollte mich über meine Landsleute erheben, wer auch immer sie sein mochten.
»Prost.« Ich trank einen tiefen Schluck Bier. Hier war es kühl, doch der Schweiß brannte in meinen Augen. Ich wischte über meine Stirn. Wintersmith beobachtete mich, über sein kleines Bier gebeugt. Mir fiel ein guter Rat meines Vaters ein, der einzige, den er mir je gegeben hatte: Traue keinem Mann, der ein kleines Bier trinkt.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte Wintersmith interessiert, aber nicht besonders besorgt.
Ich nickte und fragte ihn auf den Kopf zu, was er von mir wollte. Ich würde sicher keine ehrliche Antwort erhalten, eine kurze schon gar nicht, aber es konnte nicht schaden, ihn zum Reden zu bringen. Die meisten Diplomaten sprachen im Telegrammstil, in kurzen, abgehackten Phrasen. Nicht so Wintersmith. Seine Sätze waren verschlungen. »Ich nehme an, dass Sie während der vielen Zeit, die Sie mit Leo O’Heix verbringen, so einiges von dem mitbekommen haben, was läuft? Und wie man hört, stehen Sie der Tochter eines hochrangigen Funktionärs nahe – falls man das heutzutage noch so nennt«, sagte er grinsend.
»Wie man es nimmt – ich mache meine Arbeit, treffe mich mit Leo, habe einige Freunde.« Ich trank schnell. Nur noch zwei Schlucke, dann konnte ich gehen.
»Man hört schlechte Neuigkeiten über Ionescu – irgendeine Ahnung, wie das passieren konnte?«
Ich schüttelte den Kopf und wollte aufstehen, fühlte mich aber benommen und sank wieder auf den Stuhl. Ich hatte nichts zu Mittag gegessen, bei Trofim jede Menge Kaffee getrunken, dazu die Hitze … Andererseits war dies nur ein halber Liter Bier. Wintersmith beobachtete mich über den Rand seines Glases. »Uns wäre sehr geholfen, wenn Sie die Augen offen halten würden. Wenn wir darauf bauen könnten, dass Sie uns laufend informieren …«
»Worüber?« Ich spielte den Begriffsstutzigen, obwohl ich ahnte, worauf er hinauswollte. Er glaubte, dass ich über alle möglichen Informationen und Gerüchte im Bilde wäre, aber in Wahrheit wusste ich gar nichts. Ich hatte keinen Einblick in das, was hinter den Kulissen geschah; vielleicht auch zu viele Einblicke, um etwas zu durchschauen. Ionescu war einer Säuberung zum Opfer gefallen – na und? Wäre er unbehelligt geblieben, so wäre das genauso vielsagend oder nichtssagend gewesen. Ich hatte einem Besäufnis mit Serben beigewohnt, das aus dem Ruder gelaufen war.
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