Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Ich hatte miterlebt, wie man Nicu Ceaușescu aus einem Nachtclub geworfen hatte. Und sonst? Gerüchte. Wirre, unausdeutbare Gerüchte. Was mich wirklich beschäftigte, war der Verbleib von Petre und Vintul. Ob ich etwas darüber herausfinden konnte, wenn ich mich mit Wintersmith einließ?
Vertrauen konnte ich ihm nicht. Das kannte ich. Die Frage war nur, in welcher Weise ich mich auf seine Hinterhältigkeit verlassen konnte.
»Sie erhalten sicher viele Informationen, mit denen Sie nichts anfangen können. Wir dagegen schon, wenn wir sie richtig einordnen. Teilen Sie uns alles mit, egal was … Belanger, Ihr Vorgänger, war in dieser Hinsicht sehr hilfreich. Er hat uns zwei Jahre lang mit Informationen auf Trab gehalten.«
Schon wieder Belanger. »Und? Haben seine Auskünfte etwas gebracht?«, fragte ich.
»Manchmal reicht es, im Bilde zu sein«, antwortete er. »Um Zusammenhänge herzustellen, Inhalte aufzudecken.«
»Und was bekomme ich als Gegenleistung? Oder ist dies ein einseitiger Handel?«
»Was wollen Sie?« Bei diesen Worten seufzte Wintersmith genervt – ein Profi, der sich mit einem Amateur abgeben musste.
»Sie könnten etwas für mich in Erfahrung bringen.«
Ich sprang ins kalte Wasser – nicht weil ich ihm vertraute, sondern aus kalkuliertem Misstrauen. Was zur Folge hatte, dass ich ihm etwas schuldete, und das war eine bittere Pille. Ich erzählte ihm von Petre und Vintul. Ich klärte ihn über Ort und Datum der Aktion auf, verschwieg aber, dass sowohl Leo als auch ich daran teilgenommen hatten.
»Wer will das wissen?«, fragte er. »Sind Sie scharf auf diese Information, oder strecken Sie Ihre Fühler für jemand anderen aus?«
Ich wollte weder Ottilia noch Cilea mit hineinziehen. Deshalb erfand ich einen Kollegen, der angeblich mit einem der beiden Verschwundenen verwandt war, und beließ es dabei. Wintersmith musterte mich aus schmalen Augen, versuchte zu ergründen, ob ich log. Seit meiner Ankunft in Bukarest hatte ich zwar immer besser gelernt, mich zu verstellen, aber ich wusste nicht, ob es für einen Profi reichte.
Zum Glück hakte Wintersmith nicht weiter nach, sondern hielt mir lieber einen Vortrag über Realpolitik: »Zur Zeit taumeln überall in Europa diese Regime. Nur in Rumänien nicht. In einigen Monaten trifft unser Außenminister mit einer Wirtschaftsdelegation hier ein, und man hofft auf den Verkauf möglichst vieler Flugzeuge und Hubschrauber. Das könnte eines der fettesten Geschäfte außerhalb des Nahen Ostens werden. Wir haben Ceaușescu noch lange an der Backe, glauben Sie mir, und deshalb müssen wir mit ihm zusammenarbeiten. Sehen Sie sich um: Ringsumher wird die Stadt plattgemacht, und die Securitate ist mächtiger denn je. Dissidenten? Fehlanzeige. Hier gibt es niemanden, der einen Umsturz betreiben könnte. Das werden die Rumänen nicht tun – es widerspräche ihrem Wesen. Und Leuten, die sich nicht selbst helfen können, wird auch nicht geholfen. Dieses Land ist ein Irrenhaus, aber eines mit viel Geld.«
Das interessierte mich nicht. Beim Aufstehen fragte ich ihn: »Werden Sie versuchen, etwas über die zwei jungen Männer herauszufinden?«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden? Über alles, was an der Universität oder in Studentengruppen vor sich geht? Über jede Unmutsäußerung, die Ihnen zu Ohren kommt? Wissen – das ist eine Ware, ein Markt. Mich interessiert alles, was Sie herausfinden können …« Wintersmith hatte während unseres Gesprächs wiederholt die auf meinen Oberschenkeln liegende Tasche beäugt. »Sitzen Sie an einem Roman?«, fragte er. »Ich habe gesehen, wie Sie jede Menge Seiten ausgedruckt haben. Lassen Sie mich doch mal reinlesen.«
Ich versuchte die Sache abzutun. »Ich übersetze gerade ein paar Gedichte. Nicht sehr interessant …« Als ich in der Tür des Pubs stand, wurde mir plötzlich übel. »Alles klar mit Ihnen? Sie wirken … wackelig auf den Beinen.« Wintersmith streckte mir eine Hand hin, zwischen deren weißen, knochigen Fingern schwarze Haare sprossen. Es kam mir vor, als hätten sich die Hände vom Körper gelöst, als würden die Haare wie Tentakel zittern. Ich rannte auf die Toilette und übergab mich.
Als ich zurückkam, musterte Wintersmith verwirrt seine rechte Hand. »Sie sollten bleiben, bis Sie sich besser fühlen. Zufälligerweise hält sich der Botschaftsarzt gerade einige Tage hier auf. Ich könnte Ihnen gleich für morgen früh einen Termin besorgen.«
Ich stolperte aus der Botschaft, schlug die
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