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Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Titel: Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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hastete schließlich zur Tür der Hausmeisterin. Dort ließ ich mir meine Sportsachen geben und rannte wieder zur Marmortreppe zurück. Plötzlich freute ich mich gar nicht mehr auf Geographie. Es war die rundliche, umständliche Miss Dalrymple gewesen, die etwas in ihrer Tasche versteckt hatte. Und ich hätte schwören können, dass es ein silberner Dolch gewesen war.
     

 Neun
 
 
      
      Das Tagebuch von Lady Agnes,
 25. September 1882
     
       
 
      Gestern haben wir zum ersten Mal den Heiligen Kreis gezogen. Für die Zeremonie hat S. einen silbernen Dolch mit schwarzem Griff benutzt, den er von seiner Reise mitgebracht hat. Er hat ihn in geschickten Mustern durch die Luft geführt und so einen Raum geschaffen, in dem er die Mystischen Riten wirken wollte.
      Ich hatte große Angst, dass wir etwas Falsches tun, und daher hätte ich ihn fast gebeten aufzuhören, hätte er mich nicht um Geduld gebeten. Wir standen in einer schroffen Höhle oben in den Moors , die von einer einzelnen Kerze erhellt war, und warteten in unserem Kreis. Eine tiefe Stille legte sich über uns. Die Kerze brannte, ohne zu flackern, als wäre sie ein einziges, leuchtendes Auge. Dann sprach S. die Beschwörungsformel, die in dem Buch beschrieben war. Sie hallte wie der Klang einer Glocke durch mich hindurch. Aber nichts geschah. Dann rief er die Geister der vier Elemente auf, sich uns zu zeigen. Wieder geschah nichts. Ungeduldig blätterte er in dem Buch, rief die Worte und Gebete und Zaubersprüche, die darin aufgezeichnet waren, und wurde immer entt?uschter und w?tender, als nichts davon irgendeine Wirkung zeigte.
      Eine leise Stimme in meinem Kopf sagte: Ich wusste, dass nichts passieren würde. Ich spürte, wie mein Körper sich entspannte. Wir hatten es versucht und versagt, und jetzt würde S. diesen ganzen Unsinn vergessen. Aber um die Wahrheit zu sagen, da war irgendein verborgener Teil in mir, der genauso enttäuscht war. Was hatte ich mir von alledem versprochen? Ein bisschen Aufregung, weil ich den Regeln trotzte, die von Mama und Miss Binns aufgestellt worden waren? Oder wünschte ich mir, dass etwas geschah, weil ich ihn zufriedenstellen wollte? Plötzlich drehte er sich zu mir um und drückte mir das Buch in die Hände.
      »Mach du es.«
      »Oh … aber – «
      »Bitte, Agnes. Nur ein einziges Mal. Tu es für mich. Beschwöre das Heilige Feuer.«
      Ein eigenartiger Schauder durchlief mich, und ich wusste, dass ich es tatsächlich tun wollte. Ich musste es tun, und daher machte ich mich ans Werk.
      Ich hörte, wie meine Stimme zitterte, als ich die Beschwörungsformel las, mit der die Geister der Elemente gerufen wurden. Dann wurde meine Stimme fester, und die seltsamen Worte kamen mir so leicht über die Lippen, als hätte ich sie schon mein ganzes Leben lang gesprochen. Die Erde unter meinen Füßen begann zu schwanken, und Blitze zuckten auf. Ein brausender Wind, der wie das hungrige Meer klang, strich durch die Höhle. Ich ließ das Buch fallen und breitete die Arme aus. Winzige, weiße Flammen tanzten in meinen zu Schalen geformten H?nden. Da war weder Schmerz noch Furcht in mir, und in diesem Augenblick f?hlte ich mich mehr wie ich selbst als jemals zuvor.
      Ich sah ihn mit einem Schrei von mir wegtaumeln, und der Kreis verwischte. Das weiße Feuer verschwand, der Wind ließ nach, und die Erde beruhigte sich wieder. Wir standen da und starrten einander misstrauisch an, nach Luft schnappend und vollkommen überwältigt und verwundert.
      »Die Elemente haben auf deine Beschwörung geantwortet, Agnes«, sagte er langsam. »Du hast ihre Geister gerufen, und sie haben geantwortet. Das Feuer hat zu dir gesprochen.«
      Wir kehrten schweigend zum Kloster zurück, jeder damit beschäftigt, zu glauben und zu verstehen, was geschehen war. Ich wusste in diesem Moment, dass nichts wieder so sein würde wie zuvor.
      Seither fühle ich mich verwandelt. Ich bin tatsächlich voller lodernder Hoffnungen und Träume. Alles um mich herum schimmert und funkelt. Das Leben strömt nur so über; ich sehe winzige Insekten krabbeln, Fische im See und Vögel, die über der Kapelle schweben – und ich krabbele und schwimme und fliege mit ihnen.
      Es gibt andere Dinge, die ich ebenfalls sehe: seltsame Geister, die in den Schatten schimmern. Als ich an diesem Morgen das Schulzimmer verlassen habe, um für Miss Binns neue Seide zum Besticken zu holen, die meine Tante Marchmont aus Paris hatte schicken lassen, hatte ich

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