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Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit

Titel: Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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gehofft, ihn wiederzusehen, aber jetzt wäre ich am liebsten weggelaufen und hätte mich irgendwo versteckt, als wüsste er auch so schon zu viel über mich. »Ich muss jetzt gehen, und das solltest du auch tun. Wenn Mrs. Hartle dich hier findet, kriegst du ziemlichen Ärger.«
      »Du auch«, erwiderte er. »Wie lautet die Strafe für ein Mädchen, das mitten in der Nacht am See herumspaziert? «
      »Das weiß ich nicht, und ich will es auch gar nicht herausfinden. « Ich machte Anstalten wegzugehen.
      »Geh noch nicht«, sagte er. Seine Stimme klang sanft und bittend, und ich zögerte. »Ich bin nicht daran gewöhnt, um etwas zu bitten. Aber ich bitte dich jetzt. Bitte bleib noch. Ich möchte nur mit dir reden.« Er trat hinter mich und legte mir seinen dicken Mantel über die Schultern. Der schwere Stoff war noch warm von seinem eigenen Körper. Ein seltsames Gefühl wogte über mich hinweg, als würde ich ihn schon ewig kennen. Einen verrückten Moment lang wollte ich nichts anderes, als in seine Arme zu sinken und mich vollkommen in ihm zu verlieren. Aber ich verdrängte den Impuls und drehte mich zu ihm um, versuchte dabei, seine seltsame und unwiderstehliche Schönheit zu ignorieren.
      »Was ist in der Nacht passiert, als ich mich in die Hand geschnitten habe?«, fragte ich. »Wer bist du? Und warum bist du hier?«
      »Um dich zu sehen«, erwiderte er. »Ich habe auf dich gewartet, Mädchen vom Meer. Ich glaube, ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet.«
      »Wie …. woher weißt du, dass ich vom Meer komme?«
      »Ich habe es in deinem Gesicht gesehen, mehr nicht.« Er hielt meinen Blick mit dem seinen fest, als wäre er ein Magier.
      »Wie meinst du das?«
      »Hast du noch nie etwas gesehen, das andere Leute nicht sehen können?«
      »Natürlich nicht«, sagte ich und hielt dann inne. Ich erinnerte mich an meine ›Vision‹ vom alten Schulzimmer und dem Mädchen in Weiß. »Ich weiß es nicht«, sagte ich verwirrt. »Vielleicht im Traum.«
      »Der Traum des einen Menschen ist die Wirklichkeit des anderen.«
      »Aber ich habe mich geschnitten. Du hast das Glas berührt, und dann war es wieder heil. Das war kein Traum.«
      Er trat abrupt zum Rand des Sees. »Das war gar nichts.«
      »Aber – «
      »Wirklich, das war nichts. Ich habe nur einen alten Trick bei dir angewandt, das ist alles. Ich wollte dich beeindrucken. Dich zufrieden stellen.«
      »Warum?«
      »Als wir uns das erste Mal begegnet sind, habe ich mich wie ein arroganter Trottel aufgeführt. Dann warst du so aufgebracht wegen des Fotos, und ich wollte dir irgendwie helfen.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden verliert, für den man etwas empfunden hat, und dann nichts mehr hat als ein Bild.« Er begann zu husten, und das heisere Geräusch, das er dabei von sich gab, schien seinen ganzen Körper zu erschüttern.
      »Bist du krank?«, fragte ich und trat näher zu ihm.
      »Nein … nein … es geht mir schon wieder besser.« Der Hustenanfall verklang. »Ich bin nicht krank. Ich bin nur alles so leid. Ich bin es leid, allein zu sein, Evie.«
      »Das bin ich auch«, sagte ich freimütig. Schweigen herrschte zwischen uns, und unsere Blicke trafen sich. Ich hatte das Gefühl, als könnte er geradewegs in mich hineinsehen, als könnten wir einander ewig ansehen und es nie leid werden ? Dann senkte ich den Blick und wich ein St?ck zur?ck.
      »Woher weißt du, wie ich heiße?«
      »Das war nicht schwer. Seit wir uns getroffen haben, halte ich mich in der Nähe der Schule auf, in der Hoffnung, dich zu sehen und alles über dich zu erfahren.« Plötzlich nahm er meine Hände und zog mich zu sich heran. Tausend Nadelstiche wanderten meine Wirbelsäule hinauf und hinunter, als er sagte: »Lass mich dich kennen lernen. Es tut mir leid, falls ich dich erschreckt habe; das habe ich nicht gewollt. Bitte versprich mir, dass du mich wiedersehen wirst.«
      In meinem Kopf war eine Stimme, eine Million Meilen weit weg, die sagte: Sei nicht dumm, Evie; du weißt gar nichts über ihn. Er ist möglicherweise verrückt. Du solltest vernünftig sein …
      Aber ich wollte nicht mehr die vernünftige Evie sein. Vernünftig sein, keinen Ärger machen, ein tapferes Gesicht aufsetzen — wohin hatte mich das gebracht? Ganz allein saß ich in dieser öden Wildnis fest, Meilen von allem und allen entfernt, das und die mir etwas bedeuteten. Aber dieser Junge wollte mich kennen lernen. Niemand sonst

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