Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
Dann nahm ich Helens Taschenlampe und schaltete sie ein, während mein Herz wild h?mmerte. Der d?nne Lichtstrahl war beruhigend, auch wenn ich die Schatten hasste, die jetzt ?berall um mich herum huschten, oder die dunklen Risse in den schmalen Stufen, die ich jetzt sah.
Geh einfach weiter , sprach ich mir selbst Mut zu. Ich musste doch nur langsam hinuntergehen, dann würde ich frei sein. Einen Schritt nach dem anderen, einen Schritt nach dem anderen …
Als ich unten angekommen war, begriff ich, dass ich während der ganzen Zeit, die ich hinuntergegangen war, den Atem angehalten hatte. Die Tür zum Hauptkorridor war weiter vorn; hinter mir befand sich der verlassene Bedienstetenflügel. Ich ging zur Tür und presste mein Ohr daran. Stimmen waren im Korridor zu hören. Ich schnappte ein paar Worte auf: »… noch einen Versuch … bald«. Es klang nach Mrs. Hartle, aber dann wurde die Stimme so leise, dass ich nichts mehr verstehen konnte. Eine andere Stimme – die von Miss Scratton? – äußerte Einwände. »Nein, noch nicht. Wir sollten noch etwas warten. «
Jetzt sagte Mrs. Hartle eisig: »Bin ich die Oberste Mistress, oder sind Sie es?«
Ein nächtlicher Streit zwischen Lehrerinnen. Diesen Weg konnte ich unmöglich nehmen, was bedeutete, dass ich mich irgendwie durch den Bedienstetenflügel zur grünen Tür würde schleichen müssen, von der aus ich zum Stallhof gelangen konnte. Oder aber, wenn ich das nicht wollte, konnte ich auch aufgeben und in den Schlafsaal zurückkehren, aber der Gedanke an Aufgeben war mir unerträglich. Ich musste weitermachen.
Ich zwang mich, den staubigen Gang entlangzugehen, hielt die Taschenlampe hoch und versuchte mir vorzustellen, dass Helen bei mir w?re, w?hrend ich auf Zehenspitzen an den verlassenen Zimmern und Vorratsr?umen vorbeischlich, an den Reihen alter Glocken und der T?r zu der gespenstischen K?che vorbei, weiter und weiter, bis ich eine von Spinnweben ?berzogene gr?ne T?r fand. Ich zog an den Riegeln und Ketten, und dann endlich war ich drau?en in der kalten Nachtluft.
Der Mond war riesig und gelb und hing tief am Herbsthimmel. In der Nähe stampfte ein Pferd unruhig auf. Ich hatte es geschafft. Ich atmete ein paarmal tief durch und grinste. Das war es wert gewesen, ich war frei.
Ich legte die Taschenlampe hinter die grüne Tür und lief leichtfüßig vom Stallhof zur Terrasse hinter dem Haus. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand von einem der hohen Fenster aus nach draußen sah, flitzte ich über den Rasen in den Schutz der Bäume. Das dunkle Gemäuer auf der anderen Seite des Wassers kam mir jetzt noch größer vor als bei Tag, und einen Moment dachte ich, ich könnte zwischen den zerbrochenen Torbögen etwas flattern sehen. Eine Eule schrie, und mir war, als würde sie mir zurufen: Kehr um, kehr um … Ich achtete nicht auf ihre Warnung und ging weiter, hinunter zum stillen See.
Dort angekommen, beugte ich mich über das Wasser und fühlte mich auf eine wilde Weise glücklich. Ich war wieder ich, nicht irgendein Zombie in der Schultracht von Wyldcliffe. Meine Haare fielen mir über die Schultern nach vorn, als ich meine Hände in das seichte Wasser hielt und eine Brise meine Kleidung aufwirbelte. Verzückt schloss ich die Augen, während ich mir vorstellte, ich w?rde zu Hause am Strand sitzen, der Wind w?rde wehen, die Wellen w?rden hochschlagen und das Wasser mich rufen.
Dann hörte ich Schritte, und ich wusste, jemand war hinter mir, beobachtete mich, wartete auf mich. Ich vergaß das Atmen und verfluchte mich dafür, dass ich so dumm gewesen war. Was für Gefahren mögen da auf mich lauern ?
Ich öffnete die Augen und sah nach unten auf mein schwankendes Spiegelbild. Dahinter zeichnete sich eine vertraute Gestalt in einem langen, schwarzen Mantel ab.
»Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns wiedersehen würden.«
Ich wirbelte herum. Da stand er, der Junge mit dem gequälten Ausdruck in den Augen, umgeben vom Mondlicht.
»Du hast mich erschreckt!«
»Und du mich bezaubert.« Er lächelte verführerisch. »Du hast ausgesehen wie eine Wassernymphe, die gerade ein Gebet spricht. Wovon hast du geträumt?«
Ich wurde knallrot und bemühte mich, schroff zu klingen. »Das geht dich nichts an.«
»Ich möchte aber, dass es mich etwas angeht. Ich möchte alles über dich wissen.«
»Wie kommst du darauf, dass ich irgendetwas mit dir zu tun haben will?«, schnappte ich. Ich hatte zwar heimlich
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