Die Abtei von Wyldcliffe - Die Schwestern der Dunkelheit
möchte alles über dein Leben hören: was du tust, was du denkst, was du zum Frühstück isst, wie du gewesen bist, als du fünf warst.«
Ich lachte. »Plump, herrisch und mit verrückten roten Locken.«
»Also unwiderstehlich.«
»Ja, so ziemlich.«
Es tat gut, ihn lachen zu sehen. »Oh, Evie«, sagte er, »du bringst mich dazu, mich wieder gut zu fühlen.« Es stimmte, dass er jetzt nicht mehr so blass und müde aussah wie vorher. Verwundert sah er mich an, als versuchte er, sich mein Gesicht zu merken. »Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist und mit mir sprichst. Du bist so … anders …«
»Anders als wer?«
»Anders als all die anderen Mädchen, die ich kenne.« Er lächelte. Dann verschwand das Licht aus seinen Augen. »Ich bin nicht sehr gut, wenn es um … Beziehungen geht.«o
Ich wollte nicht zugeben, dass ich bisher noch nicht mal eine gehabt hatte. Ich hatte keine Erfahrungen mit Jungen und Dates. Natürlich hatte es Jungen an der Schule oder am Strand gegeben, aber die waren laut und ungepflegt gewesen und hatten außer Surfen, lauter Musik und Motorradfahren nichts im Kopf gehabt. Sie hatten mich nicht interessiert. Sebastian jedoch war nicht wie sie. Seine einzigartige Weise, sich zu kleiden, sein eindringlicher Blick, seine präzise Art, sich auszudrücken – alles an ihm faszinierte mich.
»Was meinst du damit, du bist nicht gut, wenn es um Beziehungen geht?«, fragte ich. »Wieso nicht?«
»Ich zerstöre alles.« Er runzelte die Stirn. »Wenn etwas nicht vollkommen ist, zerstöre ich es.«
»Ist es das, was geschehen ist – ich meine, du hast gesagt, du hättest jemanden verloren …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Ein Mensch, der dir etwas bedeutet hat, hast du gesagt. Ist es deshalb schiefgegangen?«
»Das könnte man so sagen.«
Ich musste die Frage stellen, auch wenn ich mich dazu überwinden musste. »Also, wer war sie?«
»Vergessen wir es. Es ist vorbei.« Er stand auf und trat zum Rand des Sees, dann drehte er sich um und sah mich an. Seine Augen waren so blau und strahlend wie ein Sommertag. »Ich möchte jetzt einfach nur daran denken, dass ich mit dir hier bin. Komm, ich will dir etwas zeigen.«
Ich konnte mir nicht helfen, aber mir ging das Mädchen nicht aus dem Kopf, über das er nicht reden wollte, während wir das Seeufer verließen. Ich fragte mich, ob sie vielleicht todunglücklich gewesen war, als sie sich getrennt hatten. Und wo mochte sie jetzt sein? Ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Es war nicht wichtig. Nichts war jetzt wichtig, abgesehen von diesem Augenblick.
Wir gingen um die Bögen der verfallenen Kapelle herum. Gegenüber, jenseits einer sanften Rasenfläche, befand sich dichtes Gebüsch. Ein niedriges Schild war dort angebracht worden, auf dem stand: BETRETEN VERBOTEN.
»Noch ein Gesetz, das du brechen kannst.« Sebastian grinste. »Bist du bereit?«
Ich verspürte leichte Gewissensbisse, als ich mir vorstellte, was Dad sagen würde, wenn er mich so sehen könnte. Ich konnte beinahe Mrs. Hartles höhnische Stimme hören: Na, mitten in der Nacht mit einem Dorfjungen unterwegs, Evie? Das ist kaum das, was wir von unseren Wyldcliffe-Mädchen gewohnt sind. Aber der letzte Mensch, den ich jetzt hören wollte, war Mrs. Hartle.
»Sicher.« Ich grinste zurück.
Wir kämpften uns durch das verwachsene Unterholz, brachen Zweige ab und holten uns an den Brombeersträuchern Kratzer. Ich dachte gerade, dass mich das alles daran erinnerte, wie Dornröschen vom Prinzen gerettet wurde, als ich in der Dunkelheit Felsen über mir aufragen sah. In dem Gestein befand sich ein gähnender schwarzer Spalt, der mir wie der Eingang zu einem Grab vorkam.
»Da gehen wir aber nicht rein, oder?«
Sebastian sah den besorgten Ausdruck in meinem Gesicht. »Du brauchst keine Angst zu haben, Evie. Ich bin bei dir.« Er nahm meine Hand, und plötzlich fühlte sich die ganze Welt so viel sicherer an. Noch nie hatte ich mich derart in Ordnung gefühlt, auf so wunderbare Weise lebendig.
Wir betraten die düstere Höhle. Ich hörte das Plätschern von fließendem Wasser; dann ließ Sebastian meine Hand los und versuchte, ein Streichholz zu entzünden. Ein Lichtschein flackerte über die feuchten, schimmernden Wände.
»Sieh nur!«
Ich sah voller Staunen auf. Die Mauern der Höhle waren nicht kahl und rau, wie ich erwartet hatte, sondern mit Muscheln, Kristallen und bunten
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