Die Achte Fanfare
nicht sehen, wie die zahllosen Menschen starben. Er hatte sich unter sie gemischt und war Zeuge der letzten Augenblicke ihres Lebens geworden, doch um diese Leben wahrhaftig aufzunehmen, um den Eindruck für immer in seinen Erinnerungen zu verankern, mußte er sehen, wie sie starben.
Vor ihm erhob sich wie ein Leuchtfeuer in der Nacht die Möglichkeit, dieses Ziel zu verwirklichen. Quail verzerrte die Überreste seines Gesichts zu einem Lächeln und lief weiter.
Peet hatte etwas Boden gutgemacht, aber nicht genug. Der ›Fliegende Holländer‹ trug nun die gesamte dunkle Kraft in sich, und es war fürwahr eine starke Kraft. Peet hatte im Lauf der Jahre gelernt, diese Kraft, die auch in ihm lauerte, zu beherrschen. Es hatte nicht ausgereicht, einfach zu töten. Die dunkle Kraft hatte ihn dazu gebracht, seinen Opfern die Köpfe abzureißen, nachdem er ihrem Leben mühelos ein Ende bereitet hatte. So etwas sollte eigentlich nicht möglich sein, nicht einmal für ihn.
Doch er hatte es getan. Immer und immer wieder.
Und um diese dunkle Kraft zu besiegen, die ihn einst beherrscht hatte, mußte er auch Quail besiegen. Ihn töten.
Er sah, wie der Holländer auf ein gewaltiges Gebäude zulief, das sich hoch in den Himmel erhob und in der Novembersonne lange Schatten warf. Kaum noch dreißig Meter hinter ihm, beobachtete er, wie der Holländer durch die Drehtür des Empire State Building verschwand.
Bob Mackland war nicht gerade begeistert, an einem Feiertag zu arbeiten, doch ein dreifacher Überstundenzuschlag war auch nicht von schlechten Eltern. Außerdem drohten sich die Umbauten auf der Aussichtsplattform der 86. Etage des Empire State Building nun weit in die Weihnachtssaison zu verzögern, und davon war auch niemand begeistert. Die Verwaltung hatte zugestimmt, das Observationsdeck eine Woche lang zu schließen, und Mackland mußte mit seiner Mannschaft nun auch am Feiertag arbeiten, mit einer zweistündigen Pause zwischen elf und ein Uhr. Das schien ein fairer Kompromiß zu sein.
Mackland war der letzte, der das Stockwerk verließ. Er nahm den Expreß-Lift von der 80. Etage und freute sich darauf, sich mit seiner Familie zum traditionellen Erntedankfest-Schmaus in einem Restaurant zu treffen, von dem aus man die Ziellinie der Parade sehen konnte. Mehr konnte man nicht verlangen, und der Überstundenzuschuß kam für die Kosten mehr als nur auf.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich in der Lobby. Mackland wollte gerade hinaustreten, als sich eine riesige Hand um seine Kehle legte und ihn mit solcher Wucht gegen die Wand schleuderte, daß sein Schädel brach und Dunkelheit ihn verschluckte.
Quail schob die Hand zwischen die sich gerade schließenden Fahrstuhltüren. Er betrat die Kabine mit nur einem Gedanken: die Aussichtsplattform zu erreichen, damit er das Ergebnis beobachten konnte, wenn er den Zünder betätigte. Er wollte den Augenblick genießen, ihn bewahren. Eine Million Tote, alle durch seine Hand.
Quail streifte die lächerliche Elfenmaske ab und enthüllte die aus Latex darunter, kreideweiß bis auf die Stellen, wo der Schweiß durchgesickert war. Er hämmerte auf den Knopf, mit dem er die Türen schließen konnte, und drückte dann auf die ›80‹. Er wußte, daß Peet ganz in der Nähe war. Die Türen glitten zu und hatten sich beinahe geschlossen, als sich ein gewaltiger, hellgrün gekleideter Arm hindurchschob. Quail trat ihm entgegen, und schon der erste Zusammenprall machte die beiden Männer benommen. Keiner wich einen Zentimeter zurück, und sie umschlangen einander und rangen in der kleinen Kabine.
Die Türen schlossen sich wieder, und der Fahrstuhl fuhr zum 80. Stockwerk hinauf, von wo aus dann nur noch sechs Etagen bis zum Observationsdeck des Empire State Building blieben.
Die monströsen Gestalten wirbelten herum, und Peet gelang es, seinen muskulösen Unterarm unter Quails Kehle zu schieben. Peet war über zehn Zentimeter größer als der Holländer – sein einziger eindeutiger Vorteil, und den beabsichtigte er auszunutzen. Die bessere Hebelübersetzung, die er dadurch bekam, ermöglichte es ihm, den Arm direkt unter der Kehle des Holländers zu halten, während der Gesichtslose wild um sich schlug. Viele seiner Hiebe trafen Peet mit genug Kraft im Magen, um einen normalen Menschen außer Gefecht zu setzen, doch Peet grunzte nur vor Schmerz und drängte Quail mit dem Rücken gegen die Kabinenwand, wobei der gesamte Schacht erzitterte.
Er wußte, daß er den Holländer hatte, wußte,
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