Die Achte Fanfare
Soviel bin ich Ihnen schuldig, und wenn ich es Ihnen erkläre, werden Sie es verstehen, obwohl ich überzeugt bin, daß Sie mir nicht beipflichten werden.«
»Darauf können Sie wetten.«
»Es tut mir leid, daß wir Ihre Familie entführen mußten, Mac. Wirklich. Einem Mann ist seine Familie heilig. Sie bedeutet ihm alles, bis hin …« Jones hielt inne, als sich Gefühle in seine Stimme zu schleichen drohten. »Bitte bedenken Sie, daß ich Sie hätte unter Drogen setzen oder einer Folter unterziehen können. Doch Sie sind nicht mein Feind, und wenn ich Ihre Würde verletze, ist meine auch nicht mehr viel wert.« Wieder krochen Emotionen in seine Stimme. »Diese Mission hat schon bewirkt, daß zu viele Menschen ihre Würde verloren haben.«
Mac sah ihn nur an. Er war geistesgegenwärtig genug, um zu begreifen, daß Mr. Jones keine Nachricht von der Rhode Island schicken konnte, niemandem, einschließlich den Häschern seiner Familie, ohne das Risiko einzugehen, ihre Position zu verraten. Also blieben ihm – was hatte er gesagt? – vierundzwanzig Tage, um sich etwas einfallen zu lassen.
Doch nun waren achtzehn davon verstrichen, und er hatte noch nichts unternommen. Fünfmal hatte Jones ihn bisher in die Kommandozentrale des Schiffes geführt, um den ständig wechselnden Statuskode an die COMSUBLANT zu funken, und jedesmal hatte Jones darauf bestanden, ihm noch einmal das Videoband vorzuspielen. Er kannte es mittlerweile auswendig. Die Kamera verweilte jeweils acht Sekunden lang auf jedem der Jungen und dann doppelt so lange auf seiner Frau. Die letzte Einstellung zeigte sie, wie sie dort alle nebeneinander saßen, wie bei einem grotesken Familienporträt. Die Kamera blieb gerade lange genug auf ihnen haften, daß Mac ihre verängstigten Gesichter sehen konnte.
An den Tagen, da man ihn nicht aus seiner Kabine holte, verbrachte Mac viel Zeit damit, das Band vor seinem inneren Auge abzuspielen und auf diese Weise neuen Mut zu schöpfen. Seltsamerweise schien das Band auch auf Jones eine große Wirkung zu haben. Nachdem er es zum dritten oder vielleicht auch vierten Mal abgespielt hatte, hätte Mac schwören können, in den Augen seines Häschers Tränen aufsteigen zu sehen. Ich kenne diesen Mann, dachte er. Irgendwo, irgendwie habe ich ihn schon einmal gesehen.
Doch das spielte jetzt keine Rolle. Wichtig war jetzt nur noch, daß er einen Plan und den Mut hatte, ihn auch auszuführen.
Heute.
Die Kabinentür wurde geöffnet, und McKenzie Barlow vergewisserte sich, daß sein Gesicht ausdruckslos und sein Körper entspannt war, damit nichts seine Absicht verriet.
»Fertig, Mac?« fragte Jones, als er, die ständig präsenten Wachen dicht hinter ihm, über die Schwelle trat.
»Aber sicher.«
DIE DRITTE FANFARE
SPIELZEUGSOLDATEN Donnerstag, 19. November, 10 Uhr
9
Kimberlain verbrachte den Flug von New York nach Atlanta damit, sich mit dem Dossier vertraut zu machen, das Captain Seven über Lisa Eiseman zusammengestellt hatte. Nachdenklich betrachtete er ihr Bild und versuchte, dem Schwarzweiß-Abzug Farbe hinzuzufügen. Sie war wunderschön, doch war ihr Haar dunkelbraun oder schwarz? Ihre Augen waren dunkel, und ihre Haut schien olivbraun zu sein. In der Akte stand, daß sie, obwohl sie nun eine 500-Millionen-Dollar-Firma leitete, noch immer jeden Morgen selbst zur Arbeit fuhr. Dem Fährmann gefiel das.
Als sich der Flug dem Ende näherte, nahm er sich gewisse Teile des Dossiers zum dritten Mal vor, um nicht auf Gedanken zu kommen, die er am liebsten ganz weit nach hinten verbannt hätte. Manchmal ließ sich jedoch nicht verhindern, daß sie nach vorn krochen und wieder an Ort und Stelle verstaut werden mußten.
Lisa Eiseman, 29 Jahre. Geboren in Atlanta. Vater war Burton Eiseman, Begründer und Besitzer der TLP Industries. Spezialisierte sich auf Spielzeug und Spiele für Kinder und Erwachsene. Firma erzielte Anfang bis Mitte der 70er Jahre hervorragende Ergebnisse, dann Anfang der 80er ernsthafter Einbruch. Wäre beinahe bankrott gegangen. Burton Eiseman starb 1980 im Alter von 52 Jahren. Umstände fraglich. Offiziell Herzanfall als Todesursache, doch Selbstmord möglich.
Kimberlain spürte, wie seine Gedanken eine andere Richtung einschlugen und ließ sie gewähren. Lisa Eiseman war zweiundzwanzig Jahre alt gewesen, als ihr Vater starb, nur ein Jahr jünger, als er an dem Tag gewesen war, der sein Leben verändert hatte. Er hatte gerade die Ausbildung bei den Special Forces hinter sich, und
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