Die achte Karte
Léonie ihr Ridikül von der Kommode und schob zu guter Letzt ihre bestrumpften Füße in grüne Seidenschühchen.
»Sie sehen hinreißend aus, Madomaisèla«, hauchte Marieta. »Wunderschön.«
Als Léonie aus ihrem Zimmer trat, schlug ihr so lauter Lärm entgegen, dass sie wie erstarrt stehen blieb. Sie spähte über das Geländer nach unten in die Halle. Die Diener trugen Livreen, die extra für diesen Abend geliehen worden waren und sehr elegant aussahen, was zur Festlichkeit des Anlasses beitrug. Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf, vergewisserte sich ein letztes Mal, dass ihr Kleid perfekt saß, und ging dann mit Schmetterlingen im Bauch hinunter, um sich unter die Gäste zu mischen.
Am Eingang zum Salon kündigte der Kutscher Pascal sie mit kräftiger und klarer Stimme an, verdarb die Wirkung jedoch prompt ein wenig, indem er ihr aufmunternd zuzwinkerte, als sie vorbeiging.
Isolde stand vor dem Kamin und plauderte mit einer jungen Frau, die eine fahle Gesichtsfarbe hatte. Mit einem Blick forderte sie Léonie auf, zu ihnen zu kommen.
»Mademoiselle Denarnaud, darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen, Léonie Vernier, die Tochter der Schwester meines verstorbenen Gatten.«
»Enchantée,
Mademoiselle«, sagte Léonie brav.
In dem anschließenden kurzen Gespräch stellte sich heraus, dass Mademoiselle Denarnaud eine unverheiratete Schwester des Herrn war, der ihnen am Tag ihrer Ankunft in Couiza mit dem Gepäck geholfen hatte. Denarnaud selbst hob eine Hand und winkte, als er sah, dass Léonie zu ihm hinüberschaute. Dann erfuhr sie, dass eine ziemlich entfernte Cousine als Haushälterin für den Curé von Rennes-le-Château arbeitete. Noch so eine große Familie, dachte Léonie, und ihr fiel ein, dass der Abbé Saunière selbst eines von elf Geschwistern war, wie Isolde zwei Tage zuvor beim Abendessen erwähnt hatte.
Ihre Versuche, Konversation zu betreiben, wurden mit einem kalten Starrblick quittiert. Mademoiselle Denarnaud war zwar kaum älter als Isolde, trug aber ein matronenhaftes Kleid aus schwerem Brokat, das eher zu einer doppelt so alten Frau gepasst hätte, und eine furchtbar aus der Mode gekommene Turnüre, wie man sie in Paris schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der Kontrast zwischen ihr und ihrer Gastgeberin hätte größer nicht sein können. Isolde hatte ihr Haar in blonden Ringellöckchen hoch auf den Kopf getürmt und mit Perlenkämmen festgesteckt. Ihr erlesenes Abendkleid aus goldgelbem Taft und elfenbeinfarbener Seide, das für Léonie ganz danach aussah, als entstamme es der neuesten Kollektion von Charles Worth, war mit Kristall- und Metallfäden durchwirkt. Um den Hals trug sie ein Stoffband aus demselben Material mit einer Perlenbrosche in der Mitte. Wenn sie sprach und sich bewegte, fing ihr Kleid schimmernd das Licht auf.
Léonie war erleichtert, als sie Anatole entdeckte, der rauchend am Fenster stand und sich mit Dr. Gabignaud unterhielt. Sie entschuldigte sich und glitt durch den Raum, um sich zu den beiden Männern zu gesellen. Eine Mischung aus dem Geruch von Sandelholzseife, Haaröl und einem frisch gestärkten Abendanzug begrüßte sie, als sie auf sie zukam. Anatole sah sie, und sein Gesicht hellte sich auf.
»Léonie!«
Er schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. »Du siehst bezaubernd aus, wenn du mir die Bemerkung erlaubst.« Er trat einen Schritt zurück, um den Doktor wieder ins Gespräch mit einzubeziehen. »Gabignaud, Sie erinnern sich an meine Schwester?«
»Selbstverständlich.« Der Doktor verneigte sich rasch. »Mademoiselle Vernier. Wenn Sie gestatten, schließe ich mich dem Kompliment Ihres Bruders an.«
Léonie errötete anmutig. »Eine beeindruckende Gesellschaft«, sagte sie.
Anatole erklärte ihr, wer die anderen Gäste waren. »Du erinnerst dich doch noch an Maître Fromilhague? Und da ist Denarnaud und seine Schwester, die ihm den Haushalt führt.«
Léonie nickte. »Tante Isolde hat uns bereits bekannt gemacht.«
»Das dort drüben ist Bérenger Saunière, der Pfarrer von Rennes-le-Château und ein Freund unseres verstorbenen Onkels.«
Er deutete auf einen hochgewachsenen und muskulösen Mann mit hoher Stirn und markanten Gesichtszügen, die nicht so recht zu seinen langen schwarzen Gewändern passen wollten.
»Scheint ein sympathischer Bursche zu sein«, fuhr Anatole fort, »aber offenbar kein Mann, der sich gern mit Trivialem beschäftigt.« Er nickte dem Doktor zu. »Er hat sich mehr für Gabignauds
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