Die achte Karte
verführerisch nach stark geröstetem und gemahlenem Kaffee. Einen Moment lang blieb sie auf dem Gehweg stehen und schaute durch die drei großen Fenster. Drinnen waren auf Glas- und Holzregalen Behälter mit Bohnen, verschiedene Utensilien und Töpfe für den Herd und den Kamin aufgereiht. Über der Tür stand der Namenszug
Élie Huc.
Auf einer Seite des Ladens hingen an Haken getrocknete Würste, auf der anderen gebundene Sträußchen Wilder Thymian, Salbei, Rosmarin, und auf einem Tisch standen Schüsseln und Glasgefäße mit eingelegten Kirschen und kandierten Pflaumen.
Léonie beschloss, etwas für Isolde zu kaufen, ein Geschenk als Dank für die Fahrt nach Carcassonne. Sie betrat Aladins Schatzhöhle, während Marieta, nervös die Hände ringend, draußen blieb, und kam nach gut zehn Minuten mit einer weißen Schachtel, die die erlesensten arabischen Kaffeebohnen und ein großes Glas mit glasierten Früchten enthielt, wieder heraus.
Marietas ängstlich besorgtes Gesicht und ihre hündische Anhänglichkeit wurden ihr allmählich lästig.
Soll ich?
Léonie spürte einen Funken Erregung bei dem verwegenen Gedanken, der sich ihr, ungebeten, in den Kopf schlich. Anatole würde sie heftig schelten. Aber er musste es ja nicht erfahren, wenn sie schnell war und Marieta den Mund hielt. Léonie blickte die Straße hinauf und hinunter. Es waren noch einige andere Frauen ihres Standes ohne Begleitung unterwegs. Zugegeben, es war nicht die Regel, aber auch nicht völlig unerhört. Immerhin schien niemand sonderlich auf sie zu achten. Anatole machte sich viel zu viele Sorgen.
In so einer Gegend brauche ich keinen Wachhund.
»Ich möchte das nicht die ganze Zeit tragen«, sagte sie und drückte Marieta die Schachtel mit den Geschenken in die Hand und schaute gleich darauf übertrieben skeptisch zum Himmel. »Es sieht schon wieder nach Regen aus«, sagte sie. »Am besten, du bringst die Schachtel ins Hotel und kommst mit einem Schirm zurück. Ich warte hier auf dich.«
Unruhe flackerte in Marietas Augen auf. »Aber Sénher Vernier hat gesagt, ich soll bei Ihnen bleiben.«
»Du bist doch in zehn Minuten wieder zurück«, sagte Léonie resolut. »Und er braucht es auch gar nicht zu erfahren.« Sie klopfte auf die weiße Schachtel. »Der Kaffee ist ein Geschenk für meine Tante, und ich möchte nicht, dass er nass wird. Bring einen Schirm mit, wenn du zurückkommst. Für den Fall, dass es wieder anfängt zu regnen.« Dann brachte sie ihr schlagendstes Argument vor. »Mein Bruder wäre dir alles andere als dankbar, wenn ich mich erkälte.«
Marieta zögerte, den Blick nach unten auf die Schachtel gerichtet.
»Beeil dich«, sagte Léonie ungehalten. »Ich warte hier auf dich.«
Mit unsicherer Miene drehte Marieta sich um und hastete die Carriere Mage hinunter, wobei sie sich mit wiederholten Blicken über die Schulter überzeugte, dass ihre junge Herrin nicht einfach verschwand.
Léonie schmunzelte, hocherfreut über ihre harmlose List. Sie hatte nicht vor, gegen Anatoles Anweisungen zu verstoßen und die Bastide zu verlassen. Allerdings, so dachte sie, konnte sie doch guten Gewissens bis zum Fluss spazieren und vom rechten Ufer der Aude einen ersten Blick auf die mittelalterliche Zitadelle werfen. Sie brannte darauf, die Cité zu sehen, von der Isolde gesprochen hatte und an der Monsieur Baillard offenbar mit so zärtlicher Liebe hing.
Sie zog den Stadtplan aus der Tasche und studierte ihn.
Weit kann es nicht sein.
Wenn sie Pech hatte und Marieta vor ihr wieder hier war, konnte Léonie immer noch als Erklärung vorgeben, sie habe plötzlich die Idee gehabt, Isolde und Anatole von der Anwaltskanzlei abzuholen, um mit ihnen zusammen zurückzugehen, und dabei hätten das Hausmädchen und sie sich aus den Augen verloren.
Zufrieden mit ihrem Plan, überquerte sie erhobenen Hauptes die Rue Pelisserie. Sie fühlte sich herrlich unabhängig und kühn, und das gefiel ihr. Sie kam an den Marmorsäulen des Hôtel de Ville vorbei, an dem eine makellose Trikolore flatterte, und gelangte zu den, wie sie dem Stadtplan entnahm, Ruinen des alten Monastère des Clarisses. Eine hübsche Kuppel auf dem einzigen noch stehenden Turm bedeckte eine einsame Glocke.
Léonie verließ das enge Netz belebter Straßen und betrat den von Bäumen beschatteten ruhigen Square Gambetta. Eine Gedenktafel erinnerte an das Werk des Carcassonner Architekten Léopold Petit, der die Gärten entworfen und hatte anlegen lassen. In einem See mitten im Park
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