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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ausgebreitet hatten, aufragen.
    Dahinter erstreckten sich Weiden und Wiesen.
    Léonie blieb kurz stehen, um zu verschnaufen. Zur Zitadelle führte eine mit Kopfstein gepflasterte Brücke über einen grasigen Festungsgraben, der recht flach und breit war. Am Anfang der Brücke befand sich ein kleines rechteckiges Mauthäuschen. Ein Mann mit altmodischem Backenbart und einem verbeulten Zylinder auf dem Kopf stand da, die Hände in den Taschen, und verlangte ein Entgelt von den Fahrern der mit Waren beladenen Karren, Händler, die Bierfässer in die Cité lieferten.
    Auf der gedrungenen Steinmauer der Brücke hockte ein Mann in Gesellschaft zweier Soldaten. Er trug einen alten blauen napoleonischen Umhang und rauchte eine langstielige Pfeife, die ebenso schwarz war wie seine Zähne. Alle drei Männer lachten. Einen Moment lang meinte Léonie, dass seine Augen sich einen Bruchteil weiteten, als er sie erblickte. Einen Moment lang starrte er sie an, ein wenig unverschämt, und schaute dann wieder weg. Seine Aufmerksamkeit verunsicherte sie, und sie ging rasch vorbei.
    Kaum hatte sie die Brücke betreten, traf sie der Nordwestwind mit voller Wucht. Sie musste ihren Hut mit einer Hand festhalten, während sie mit der anderen Hand zu verhindern versuchte, dass sich ihre flatternden Röcke zwischen den Beinen verfingen. Sie kämpfte sich vorwärts, die Augen zusammengekniffen gegen den Sand und den Staub, der ihr ins Gesicht geweht wurde.
    Doch sobald sie in die Cité kam, war sie vor dem Wind geschützt. Sie blieb kurz stehen, um ihre Kleidung zu ordnen, und ging dann über den offenen Platz zwischen der inneren und äußeren Befestigungsanlage, wobei sie achtgab, sich in dem Wasser, das durch die Gosse in der Mitte des Pflasters strömte, nicht die Schuhe zu benetzen. An einer Pumpe hoben und senkten zwei Jungen mühsam den Metallschwengel, und Wasser rauschte in einen Metalleimer. Linker und rechter Hand sah sie die Überreste der ärmlichen Behausungen, die erst vor kurzem abgerissen worden waren. In einem oberen Stockwerk hing mitten in der Luft eine rußgeschwärzte Kaminplatte, die noch von der Zerstörung übriggeblieben war.
    Léonie bedauerte, dass sie nicht so umsichtig gewesen war, auch ihren Reiseführer einzustecken, statt nur die Karte von der Bastide. Sie erkundigte sich nach dem Weg und erfuhr, dass die Burg immer geradeaus lag, eingelassen in die westliche Befestigungsmauer. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend ging sie weiter. Nach dem prächtigen Anblick aus der Ferne und den windgepeitschten
hautes lices,
dem Bereich zwischen der inneren und äußeren Mauer, war es innerhalb der Cité dunkler, als sie erwartet hatte. Und es war dreckig. Die glitschigen Pflastersteine waren schlammverschmiert, die Gossen mit allem möglichen Unrat übersät.
    Léonie suchte sich vorsichtig ihren Weg die schmale Straße hinauf in die Richtung, in die ein handgemaltes Holzschild mit der Aufschrift
Château Comtal
wies, wo die Garnison einquartiert war. Auch das erwies sich als Enttäuschung. Aus vorangegangener Lektüre wusste sie, dass die Burg einst Sitz des Herrschergeschlechts Trencavel gewesen war, das vor vielen hundert Jahren die Herrschaft über die Stadt hatte. Léonie hatte sich ein Märchenschloss, wie sie an den Ufern von Rhône und Loire standen, vorgestellt. Sie hatte sich Höfe und prächtige Hallen ausgemalt, voller Damen in rauschenden Kleidern, und
chevaliers,
die hinaus in die Schlacht preschten.
    Das Château Comtal war jetzt ein Militärgebäude, und so sah es auch aus, schmucklos, praktisch, alltäglich, trostlos. Der Tour de Vade im Schatten der Mauer diente als Lager für Schießpulver. Ein einzelner Soldat stand Wache und stocherte in seinen Zähnen herum. Das Gebäude wirkte vernachlässigt, als würde es geduldet, aber nicht geliebt.
    Léonie betrachtete es unter ihrer breiten Hutkrempe eine Weile, suchte bei der schlichten Brücke und dem zweckmäßigen schmalen Torweg ins eigentliche Château nach einer Spur von Romantik, konnte aber nichts dergleichen entdecken. Als sie sich abwandte, kam ihr der Gedanke, dass jeder Versuch, die Cité als Touristenattraktion wiederzubeleben, zweifellos zum Scheitern verurteilt wäre. Sie konnte sich in diesen Straßen einfach keine Besucherströme vorstellen. Hier war alles zu trist, nicht darauf ausgelegt, um dem zeitgenössischen Geschmack und Stil zu gefallen. Die frisch ausgebesserten Mauern, die gesägten Steine und Bodenplatten verdeutlichten

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