Die achte Karte
Hintergehen kann keine Rede sein«, sagte er. »Es geht um Diskretion. Je weniger Leute wissen, was wir vorhaben, umso besser.«
Er legte eine Hand auf Isoldes Bauch, eine eindeutige Geste, dass das Thema für ihn beendet war.
»Bald, Liebste, ist das alles vorbei.«
Er legte eine Hand um ihren Hinterkopf und zog sie an sich, küsste sie auf die Lippen. Dann schob er langsam den
peignoir
von ihren Schultern und entblößte ihre vollen Brüste. Isolde schloss die Augen.
»Bald«, raunte er in ihre milchige Haut, »müssen wir nichts mehr verstecken. Dann können wir ein neues Kapitel unseres Lebens beginnen.«
Kapitel 56
∞
Carcassonne, Donnerstag, 22 . Oktober
F rüh um halb fünf fuhr das Gig mit Anatole, Isolde und Léonie die lange Auffahrt der Domaine de la Cade hinunter. Marieta saß vorn bei Pascal auf dem Kutschbock, eine einzige Decke über ihre und seine Knie gebreitet.
Die Kutsche war geschlossen, aber das rissige Lederverdeck bot nur unzureichenden Schutz gegen die frühmorgendliche Kälte. Léonie war in ihren langen schwarzen Umhang gehüllt, dessen Kapuze sie sich, warm eingezwängt zwischen ihrem Bruder und ihrer Tante, über den Kopf gezogen hatte. Aus dem Fellüberwurf, der zum ersten Mal in diesem Herbst benutzt wurde und sie und ihre Mitpassagiere vom Kinn bis zu den Zehen bedeckte, stieg ihr modriger Mottenkugelgeruch in die Nase.
Das blaue Licht und die Kälte der frühen Stunde verstärkten für Léonie das Gefühl, ein Abenteuer zu erleben. Der romantische Aufbruch vor Sonnenaufgang, die Aussicht, zwei Tage lang Carcassonne zu erkunden, in ein Konzert zu gehen und in Restaurants zu speisen, sie konnte es kaum erwarten.
Die Lampen schlugen klappernd gegen die Kutsche, als sie auf die Straße nach Sougraigne bogen, zwei Lichtpunkte in der Dunkelheit. Isolde gestand, schlecht geschlafen zu haben, weshalb ihr ein wenig übel war. Sie sagte wenig. Auch Anatole schwieg.
Léonie war hellwach. Sie sog den Morgengeruch von satter, feuchter Erde ein, genoss die Duftmischung aus Alpenveilchen und Buchsbaum, Maulbeerbüschen und Esskastanienbäumen. Es war noch zu früh für den Gesang der Lerche oder das Gurren der Tauben, aber sie hörte den Schrei der Eulen, die von ihrer nächtlichen Jagd zurückkehrten.
Trotz des frühen Aufbruchs traf ihr Zug aufgrund des stürmischen Wetters erst mit über einer Stunde Verspätung in Carcassonne ein.
Léonie und Isolde warteten, während Anatole eine Droschke rief. Gleich darauf rollten sie über die Pont Marengo ins nördliche Viertel der Bastide Saint-Louis, wo Dr. Gabignaud ihnen ein Hotel empfohlen hatte.
Es lag in der Rue du Port, an der Ecke einer ruhigen Seitenstraße unweit der Église de Saint-Vincent, und war eine schlichte, aber behagliche Unterkunft. Ein Halbkreis von drei Stufen führte hinauf zum Eingang, einer schwarzgestrichenen Tür, umrahmt von behauenem Stein. Entlang der Außenwand standen Zierbäume in Terrakottakübeln, wie eine Reihe Wachtposten. Blumenkästen auf den Fensterbänken warfen grüne und weiße Schatten auf die frisch gestrichenen Holzläden. Auf die Seitenwand waren in hohen Lettern die Worte HÔTEL ET RESTAURANT gemalt.
Anatole erledigte die Formalitäten und ließ das Gepäck auf die Zimmer bringen, eine Suite für Isolde, Léonie und Marieta im ersten Stock, für ihn ein Einzelzimmer gegenüber auf demselben Flur.
Nach einem leichten Mittagsmahl in der Brasserie des Hotels vereinbarten sie, sich um halb sechs wieder im Hotel zu treffen, um vor dem Konzert ein frühes Abendessen einzunehmen. Isoldes Termin bei den Anwälten ihres verstorbenen Mannes war um zwei Uhr in einer Straße namens Carriere Mage. Anatole hatte angeboten, sie zu begleiten. Als sie sich auf den Weg machten, nahm er Léonie noch das Versprechen ab, ohne Marieta nirgendwohin zu gehen und schon gar nicht ohne Begleitung die Bastide zu verlassen und den Fluss zu überqueren.
Es regnete wieder. Léonie plauderte zum Zeitvertreib mit einem anderen Gast, einer älteren Witwe, Madame Sanchez, die Carcassonne schon seit vielen Jahren besuchte. Sie erklärte, dass die Unterstadt, die Basse Ville, wie sie sie nannte, wie ein Gittersystem angelegt war, ähnlich wie die modernen amerikanischen Städte. Madame Sanchez lieh sich Léonies Stift aus und umkringelte auf dem
plan de ville,
den sie vom
patron
erhalten hatte, das Hotel und den Hauptplatz. Außerdem wies sie darauf hin, dass viele Straßennamen veraltet waren.
»Heilige sind Generälen
Weitere Kostenlose Bücher