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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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zueinander zeigten, obgleich sie die Schlichtheit der Zeremonie bedauerten.
    Als Anatole und Isolde hinaus auf die Straße traten, empfing sie Glockengeläut. Sie hörten es donnern. Von dem Wunsch beseelt, die erste Stunde ihres Ehelebens allein zu verbringen – zumal sie in der Gewissheit waren, dass Léonie und Marieta sicher im Hotel waren und auf ihre Rückkehr warteten –, liefen sie die Straße hinunter und verschwanden im erstbesten Lokal, das ihnen angemessen erschien.
    Anatole bestellte eine Flasche Cristal, den teuersten Champagner auf der Getränkekarte. Sie tauschten Geschenke aus. Anatole schenkte Isolde ein silbernes Medaillon mit einem Miniaturbild von ihr auf der einen Seite, von ihm auf der anderen. Sie beglückte ihn mit einer erlesenen vergoldeten Taschenuhr, in deren Deckel seine Initialen eingraviert waren, als Ersatz für die Uhr, die ihm bei dem Überfall in der Passage des Panoramas gestohlen worden war.
    Eine Stunde lang tranken und plauderten sie, glücklich, einander zu haben, während die ersten dicken Regentropfen auf die Scheiben der breiten Fenster klatschten.

Kapitel 58
    ∞
    L éonie verspürte eine leichte Unruhe, als sie die Brücke hinunterging. Jetzt konnte sie nicht mehr so tun, als verstieße sie nicht gegen Anatoles ausdrückliche Anweisungen. Sie drängte den Gedanken beiseite, sah dann mit einem Blick über die Schulter, dass sich über der Bastide schwarze Gewitterwolken zusammenballten.
    In diesem Moment sagte sie sich, dass es klüger wäre, auf dieser Seite des Flusses zu bleiben, fern von dem aufziehenden Unwetter. Ja, es wäre alles andere als ratsam, jetzt gleich in die Basse Ville zurückzukehren. Außerdem würde eine Abenteurerin, eine Erkunderin, die Jagd nicht einfach abblasen, nur weil ihr Bruder es ihr eingeschärft hatte.
    Das
quartier
Trivalle war beängstigender und wesentlich ärmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Alle Kinder waren barfuß. Am Straßenrand hockte ein blinder Bettler mit milchigen, toten Augen, in Lumpen gehüllt, die die Farbe des feuchten Pflasters hatten. Seine verdreckten Hände hielten Léonie eine schmuddelige Tasse hin, als sie vorbeiging. Sie warf eine Münze hinein und stieg vorsichtig die kopfsteingepflasterte Straße hinauf, die von einfachen Häusern gesäumt wurde. An den Fensterläden, allesamt in heruntergekommenem Zustand, blätterte die Farbe ab. Léonie rümpfte die Nase. Die Straße roch nach viel zu vielen Menschen und nach Verwahrlosung.
    In der Cité wird es besser.
    Die Straße stieg sanft an. Schon bald lichteten sich die Häuser, und Léonie überquerte auf dem letzten Stück zur Cité freies Gelände. Zu ihrer Linken, am oberen Ende einer bröckelnden Steintreppe, sah sie eine schwere Holztür, die in eine uralte graue Mauer eingelassen war. Ein arg mitgenommenes, verwittertes Schild verriet ihr, dass es das Kapuzinerkloster war.
    Früher einmal.
    Weder Léonie noch Anatole waren im einengenden Schatten der Kirche aufgewachsen. Ihre Mutter war zu sehr Freigeist, und, wie Anatole ihr einmal erklärt hatte, bedeutete die republikanische Gesinnung ihres Vaters, dass Leo Vernier den Klerus ebenso sehr als Feind einer echten Republik betrachtete wie den Adel. Dennoch bedauerte Léonie aufgrund von romantischer Phantasie die Unnachgiebigkeit, mit der Politik und Fortschritt forderten, dass alle Schönheit dem Prinzip geopfert werden musste. Diese Architektur berührte sie, auch wenn die Worte, die in dem Kloster widerhallten, es nicht taten.
    Gedankenversunken setzte Léonie ihren Weg fort und kam an einem auffallend schönen Gebäude vorbei, dem Maison de Montmorency, mit frei liegenden Holzbalken und mehrfach unterteilten Fenstern, deren geschliffene Scheiben das Licht trotz des düsteren Himmels in blauen, rosa und gelben Prismen einfingen.
    Oben an der Rue Trivalle bog sie nach rechts. Weiter vorn konnte sie die hohen und spitzen sandfarbenen Türme der Porte Narbonnaise sehen, des Haupteingangs der Cité. Ihr Herz machte vor Aufregung einen Sprung beim Anblick der doppelten Ringmauer mit ihren vielen Türmen, einige mit roten Ziegeldächern, andere mit grauem Schiefer gedeckt, deren Umrisse sich gegen den dunkelnden Himmel abzeichneten.
    Sie hob ihre Röcke mit einer Hand ein wenig an, um sich den Aufstieg zu erleichtern, und strebte mit neuem Schwung vorwärts. Als sie näher kam, sah sie hinter der hohen Mauer eines Friedhofs übergroße Kreuze und die Spitzen grauer Grabsteine, auf denen Engel die Flügel

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