Die achte Karte
finden, Anatole hat das Haus vor über einer halben Stunde mit Pascal verlassen.«
»Wenn wir sofort gehen, können wir es vielleicht noch verhindern.«
Isolde verlor keine Zeit mit ihrem Korsett, sondern streifte ihr graues Promenadenkleid und eine wetterfeste Jacke über, schob die eleganten Füße in Stiefel und fädelte die Schnürsenkel wahllos mit fliegenden Fingern in Haken und Ösen. Dann lief sie Richtung Treppe, Léonie hinterdrein.
»Wird sein Kontrahent das Ergebnis akzeptieren?«, fragte Léonie unvermittelt, in der Hoffnung auf eine andere Antwort als die, die Anatole ihr zuvor gegeben hatte.
Isolde blieb stehen und blickte mit verzweifelten grauen Augen zu ihr hoch.
»Er ist … er ist kein Ehrenmann.«
Léonie packte ihre Hand, um sie zu trösten, aber ebenso sehr, um sich selbst zu beruhigen, als ihr eine andere Frage in den Sinn kam. »Wann soll das Kind kommen?«
Für einen Moment wurden Isoldes Augen weich. »Wenn alles gutgeht, im Juni. Ein Sommerkind.«
Als sie durch die Halle eilten, kam es Léonie so vor, als hätte die Welt eine grellere Farbe angenommen. Ehemals vertraute, liebgewonnene Dinge – das polierte Holz von Tisch und Türen, das Pianoforte und die gepolsterte Klavierbank, in die Léonie das Notenblatt aus der Grabkapelle gelegt hatte –, alles schien sich von ihnen abgewandt zu haben. Kalte, tote Objekte.
Léonie nahm die schweren Gartenumhänge von den Haken gleich neben dem Eingang, reichte Isolde einen und warf sich selbst den anderen über, dann zog sie die Tür auf. Kühle Luft strich ihr um die Beine wie eine Katze, wickelte sich um die Strümpfe, die Knöchel. Sie nahm die brennende Lampe vom Ständer.
»Um welche Zeit soll das Duell stattfinden?«, fragte Isolde mit leiser Stimme.
»In der Abenddämmerung«, erwiderte Léonie. »Sechs Uhr.«
Sie schauten zum Himmel hinauf, der sich tiefblau und immer dunkler werdend über ihnen wölbte.
»Wenn wir noch rechtzeitig dort sein wollen«, sagte Léonie, »müssen wir uns beeilen. Los jetzt, schnell.«
Kapitel 81
∞
I ch liebe dich,
petite«,
murmelte Anatole noch einmal leise vor sich hin, als die Haustür sich zitternd hinter ihnen schloss.
Er und Pascal, der eine Laterne in die Höhe hielt, gingen schweigend zum Ende der Einfahrt, wo Denarnauds Kutsche auf sie wartete.
Anatole nickte Gabignaud zu, dessen Gesichtsausdruck verriet, wie ungern er an diesem Geschehen teilhatte. Charles Denarnaud drückte Anatoles Hand.
»Der Duellant und der Doktor nach hinten«, verkündete Denarnaud, seine Stimme klar in der kalten Abendluft. »Ihr Diener und ich sitzen vorne.«
Das Verdeck war geschlossen. Gabignaud und Anatole stiegen ein. Denarnaud und Pascal, dem diese Begleitung offensichtlich unangenehm war, setzten sich gegenüber und balancierten den langen hölzernen Pistolenkoffer gemeinsam auf dem Schoß.
»Kennen Sie den vereinbarten Ort, Denarnaud?«, fragte Anatole. »Die Lichtung in dem Buchenwald östlich des Hauses?«
Denarnaud lehnte sich nach draußen und gab die entsprechende Anweisung. Anatole hörte, wie der Kutscher die Zügel schnalzen ließ, und das Gig rollte an. Das Klirren von Zuggeschirr und Zaumzeug hallte laut durch die stille Luft.
Denarnaud war der Einzige, dem nach Reden zumute war. Die meisten Geschichten, die er zum Besten gab, handelten von Duellen, an denen er beteiligt gewesen war. Bei allen war es knapp ausgegangen, aber immer zum Vorteil seines Duellanten. Anatole war klar, dass er ihn beruhigen wollte, aber er wünschte trotzdem, er würde den Mund halten.
Er saß kerzengerade da, schaute hinaus auf das schon fast winterliche Land und dachte, dass er diese Welt vielleicht zum letzten Mal sah.
Die lange Baumallee der Einfahrt war mit Rauhreif bedeckt. Das schwere Klappern der Pferdehufe auf dem harten Boden hallte durch den Park. Der sich verdunkelnde blaue Himmel über ihnen schien wie ein Spiegel zu glänzen, während ein bleicher Mond in weißer Pracht aufging.
»Das hier sind meine eigenen Pistolen«, erklärte Denarnaud. »Ich habe sie selbst geladen. Der Koffer ist versiegelt. Sie werden auslosen, ob wir diese hier benutzen oder die Waffen Ihres Gegners.«
»Das weiß ich«, knurrte Anatole, doch dann bedauerte er seinen barschen Ton, und er fügte hinzu: »Ich bitte um Verzeihung, Denarnaud. Meine Nerven sind angespannt. Ich bin Ihnen überaus dankbar für Ihre Sorgfalt.«
»Es schadet nichts, die Regeln noch einmal zu rekapitulieren«, sagte Denarnaud mit lauterer
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