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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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hervorzog, so klein, dass der Lauf zwischen Zeige- und Mittelfinger passte. Sein Arm schwang im Bogen aufwärts und nach rechts und feuerte.
    Eine zweite Pistole, nicht nur eine, wie vereinbart.
    Anatole schrie, fand endlich seine Stimme wieder. Aber es war zu spät.
    Ihr Körper stockte in der Bewegung, schien einen Augenblick in der Luft zu schweben und wurde dann durch die Wucht der Kugel nach hinten geschleudert. Ihre Augen weiteten sich, zuerst vor Verblüffung, dann Schock, dann Schmerz. Er sah sie niederstürzen. Sie fiel zu Boden.
    Anatole spürte, wie sich ein Schrei aus seiner Brust riss. Um ihn herum brach Chaos aus, Rufen und Brüllen und heilloses Durcheinander. Und mittendrin meinte er, obwohl das nicht sein konnte, jemanden lachen zu hören. Seine Sehkraft schwand, Schwarz verdrängte Weiß, saugte die Farbe aus der Welt.
    Das Lachen war das Letzte, was er hörte, ehe die Dunkelheit ihn umfing.

Kapitel 82
    ∞
    E in Aufheulen zerriss die Luft. Léonie hörte es, merkte aber zuerst nicht, dass es aus ihrem eigenen Mund drang.
    Für einen Moment blieb sie wie angewurzelt stehen, unfähig, zu glauben, was ihre Augen sahen. Sie stellte sich vor, ein Bühnenbild zu sehen, auf dem die Lichtung und die einzelnen Personen mit Pinsel und Farbe oder durch den Verschluss einer Linse für alle Zeit festgehalten wurden.
    Leblos, reglos, eine Ansichtskarte, nicht echte Menschen aus Fleisch und Blut.
    Dann kehrte die Welt ruckartig zurück. Während Léonie in die Dunkelheit starrte, hinterließ die Wahrheit einen blutigen Händedruck in ihrem Kopf.
    Isolde ausgestreckt auf der kalten Erde, das graue Kleid rot gefärbt.
    Anatole, der mühsam versuchte, einen Arm zu heben, das Gesicht schmerzverzerrt, ehe er wieder zu Boden sank. Gabignaud auf Knien neben ihm.
    Am schockierendsten das Gesicht des Mörders. Der Mann, den Isolde so gefürchtet und Anatole so verabscheut hatte, deutlich sichtbar.
    Léonie durchlief es eiskalt, allen Mutes beraubt.
    »Nein«, flüsterte sie.
    Schuld, schneidend wie gesprungenes Glas, bohrte sich ohne Gegenwehr durch sie. Scham, dann Wut folgten gleich darauf, rauschten durch sie hindurch wie ein Fluss, der seine Deiche sprengt. Nur wenige Schritte von ihr entfernt stand der Mann, der sich in ihren geheimsten Gedanken eingenistet hatte, von dem sie seit Carcassonne geträumt hatte. Victor Constant.
    Anatoles Mörder. Isoldes Peiniger.
    Hatte sie selbst ihn hierhergeführt?
    Léonie hob die Lampe höher, bis sie deutlich das Wappen auf der Seitenwand der Kutsche sehen konnte, die ein wenig abseitsstand, obwohl sie keine Bestätigung mehr brauchte, dass er es wirklich war.
    Ein jäher und wilder und allumfassender Zorn überfiel sie. Ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken, rannte sie aus dem Schatten der Bäume auf die Lichtung, stürmte auf die Gruppe von Männern zu, die Anatole und Gabignaud umringten.
    Der Doktor war wie gelähmt, völlig handlungsunfähig vor Entsetzen über das Geschehene. Er taumelte hoch und wäre fast ausgeglitten. Fassungslos schaute er zu Victor Constant und seinen Männern hinüber, dann starrte er voller Verwirrung Charles Denarnaud an, der die Waffen geprüft und die Duellbedingungen für erfüllt erklärt hatte.
    Léonie erreichte zuerst Isolde. Sie warf sich neben ihr auf den Boden und hob ihren Umhang an. Auf der linken Seite des Kleides war der blassgraue Stoff dunkelrot getränkt, eine obszöne Treibhausblüte. Léonie zog ihre Handschuhe aus, schob Isoldes Ärmelaufschlag hoch und tastete nach einem Puls. Er war schwach, aber spürbar. Ein Hauch Leben war noch in ihr. Rasch fuhr sie mit den Händen über Isoldes ausgestreckten Körper und erkannte, dass die Kugel sie am Arm getroffen hatte. Falls sie nicht zu viel Blut verlor, würde sie überleben.
    »Dr. Gabignaud,
vite«,
schrie sie.
»Aidez-la.
Pascal!«
    Ihre Gedanken sprangen zu Anatole. In dem Dämmerlicht war ein schwacher weißer Atemhauch über Mund und Nase ihres Bruders zu erkennen und gab ihr Hoffnung, dass auch er nicht tödlich verwundet war.
    Sie stand auf und machte einen Schritt auf ihn zu.
    »Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie bleiben, wo Sie sind, Mademoiselle Vernier. Und Sie auch, Gabignaud.«
    Beim Klang von Constants Stimme erstarrte sie. Erst jetzt nahm sie wahr, dass er noch immer seine Waffe erhoben hatte, den Finger am Abzug, bereit, abzudrücken, und dass es keine Duellpistole war. Vielmehr erkannte sie
Le Protector,
eine Schusswaffe, die eigens für Hosentaschen oder

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