Die achte Karte
die Schürze glatt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ erkennen, dass Pascal sie eingeweiht hatte.
»Möchten Sie, dass ich nachsehe, ob Madama aufgewacht ist?«
Léonie schüttelte den Kopf. »Nein, stör sie nicht.«
»Kann ich Ihnen etwas bringen? Vielleicht einen Kräutertee?«
Auch Léonie erhob sich. »Nein, ich fühle mich schon wieder besser.« Sie brachte ein Lächeln zustande. »Du hast bestimmt alle Hände voll zu tun. Außerdem wird mein Bruder eine Stärkung benötigen, wenn er zurückkommt. Da soll er nicht warten müssen.«
Für einen Moment trafen sich die Blicke der beiden jungen Frauen.
»Sehr wohl, Madomaisèla«, sagte Marieta schließlich. »Ich sorge dafür, dass in der Küche dann alles bereit ist.«
Léonie blieb in der Halle und lauschte auf die Geräusche im Haus, um sicherzugehen, dass niemand mitbekommen würde, was sie als Nächstes vorhatte. Als alles ganz ruhig geworden war, sprang sie mit einer Hand auf dem Mahagonigeländer hastig die Treppe hinauf und wollte dann leise über den Flur zu ihrem Zimmer huschen.
Zu ihrem Erstaunen hörte sie Geräusche aus Anatoles Zimmer. Sie erstarrte, wollte ihren Ohren nicht trauen, da sie doch eine halbe Stunde zuvor gesehen hatte, wie er mit Pascal das Haus verließ.
Sie wollte schon weitergehen, als die Tür aufgerissen wurde und Isolde ihr beinahe in die Arme fiel. Ihr blondes Haar hing lose herab, und ihr Unterhemd stand am Hals offen. Sie wirkte völlig verstört, als wäre sie von einem Dämon oder Gespenst aus dem Schlaf gerissen worden. Notgedrungen fiel Léonie die hässliche rote Narbe an ihrem Hals auf, und sie wandte den Blick ab. Sie war so erschrocken, ihre elegante, stets gelassene und selbstbeherrschte Tante derart hysterisch zu sehen, dass ihre Stimme schneidender klang als beabsichtigt.
»Isolde! Was haben Sie denn? Was ist geschehen?«
Isolde warf den Kopf hin und her wie in heftigem Widerspruch und schwenkte ein Blatt Papier in der Hand.
»Er ist fort! Um zu kämpfen!«, schrie sie. »Wir müssen das verhindern.«
Léonie wurde kalt ums Herz, denn sie begriff, dass Isolde vorzeitig den Brief gefunden hatte, den Anatole in seinem Ankleidezimmer für sie hinterlegt hatte.
»Ich konnte nicht schlafen, da bin ich ihn suchen gegangen. Stattdessen fand ich das hier.« Isolde hielt unvermittelt inne und sah Léonie in die Augen. »Sie wussten es«, sagte sie leise, mit einer Stimme, die plötzlich ganz ruhig klang.
Für einen flüchtigen Moment vergaß Léonie, dass Anatole jetzt in diesem Augenblick durch den Wald ging, um sich zu duellieren. Sie versuchte zu lächeln, während sie den Arm ausstreckte und Isoldes Hand ergriff.
»Ich weiß von den Maßnahmen, die ihr beide ergriffen habt. Von der Heirat«, sagte sie sanft. »Ich wünschte, ich hätte dabei sein können.«
»Léonie, ich wollte …« Isolde stockte. »Ich wollte es Ihnen sagen.«
Léonie schloss sie in die Arme. Schlagartig hatten sie die Rollen getauscht.
»Und dass Anatole Vater wird?«, fragte Isolde fast im Flüsterton.
»Auch das«, sagte Léonie. »Es ist eine wundervolle Neuigkeit.«
Isolde löste sich von ihr. »Aber wussten Sie auch von dem Duell?«
Léonie zögerte. Sie wollte der Frage schon ausweichen, doch dann hielt sie inne. Es hatte genug Unehrlichkeit zwischen ihnen gegeben. Zu viele zerstörerische Lügen.
»Ja«, gestand sie. »Der Brief wurde gestern per Boten überbracht. Denarnaud und Gabignaud begleiten Anatole.«
Isolde erbleichte. »Per Boten, sagen Sie«, flüsterte sie. »Dann ist er also hier. Sogar hier.«
»Anatole wird sein Ziel nicht verfehlen«, sagte Léonie mit einer Überzeugung, die sie selbst nicht empfand.
Isolde hob den Kopf und nahm die Schultern zurück. »Ich muss zu ihm.«
Der unvermittelte Stimmungswechsel verblüffte Léonie so, dass sie nach Worten suchte.
»Das geht nicht«, widersprach sie.
Isolde überhörte den Einwand. »Wo soll der Kampf stattfinden?«
»Isolde, Sie sind unpässlich. Es wäre töricht, ihm zu folgen.«
»Wo?«, fragte sie.
Léonie seufzte. »Eine Lichtung im Buchenwald. Wo genau, weiß ich nicht.«
»Wo die wilden Wacholderbüsche wachsen. Da gibt es eine Lichtung, wo mein erster Mann manchmal Schießübungen gemacht hat.«
»Mag sein. Mehr hat er nicht gesagt.«
»Ich muss mich anziehen«, sagte Isolde und löste sich aus Léonies Griff.
Léonie blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. »Aber selbst wenn wir sofort aufbrechen und die richtige Stelle
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