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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Stimme, als in der engen Kutsche und angesichts der Situation erforderlich gewesen wäre. Anatole begriff, dass Denarnaud trotz seines poltrigen Auftretens nervös war. »Man will schließlich keine Missverständnisse. Könnte ja sein, dass solche Angelegenheiten in Paris anders ausgetragen werden.«
    »Ich denke nicht.«
    »Haben Sie geübt, Vernier?«
    Anatole nickte. »Mit den Pistolen, die im Haus waren.«
    »Sind Sie damit zurechtgekommen? Mit dem Visier?«
    »Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt«, sagte er.
    Anatole versuchte, das Bild seiner liebsten Isolde heraufzubeschwören, wie sie schlafend im Bett lag, die Haare auf dem Kissen ausgebreitet, ihre schlanken weißen Arme. Er dachte an Léonies strahlende, fragende grüne Augen. Und an das Gesicht des ungeborenen Kindes. Versuchte, ihre geliebten Gesichtszüge festzuhalten.
    Ich tue das für sie beide.
    Aber die Welt war zusammengeschrumpft auf diese klappernde Kutsche, den Holzkoffer auf Denarnauds Schoß, das schnelle, nervöse Atmen von Gabignaud neben ihm.
    Anatole spürte, wie der
fiacre
erneut nach links abbog. Der Boden unter den Rädern wurde holpriger. Plötzlich schlug Denarnaud auf die Seitenwand der Kutsche und rief dem Fahrer zu, er solle einen kleinen Waldweg nach rechts nehmen.
    Das Gig bog auf den unbefestigten Weg ein, rollte zwischen Bäumen hindurch und erreichte schließlich die Lichtung. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine weitere Kutsche. Obwohl er wusste, was ihn erwartete, durchfuhr Anatole doch ein Schock, als er das Wappen von Victor Constant, Comte de Tourmaline, sah, Gold auf Schwarz. Zwei rotbraune Pferde mit Federschmuck und Scheuklappen stampften auf dem harten, kalten Boden mit den Hufen. Neben ihnen stand eine Gruppe Männer.
    Denarnaud stieg als Erster aus, Gabignaud folgte, dann Pascal mit dem Pistolenkoffer. Schließlich kam Anatole aus der Kutsche. Selbst auf diese Entfernung und obwohl die Männer gegenüber alle schwarz gekleidet waren, erkannte er Constant. Mit einem angewiderten Schauder sah er außerdem das rotentzündete, von Pocken entstellte Gesicht eines der Männer, die ihn am Morgen nach dem Tumult in der Oper in der Passage des Panoramas überfallen hatten. Neben ihm, kleiner und ärmlicher wirkend, stand ein heruntergekommen aussehender Soldat in einem alten napoleonischen Umhang. Auch der kam ihm irgendwie bekannt vor.
    Anatole holte tief Luft. Seine Gedanken hatten sich zwar von dem Moment an, da er Isolde kennen- und lieben lernte, unaufhörlich mit Victor Constant beschäftigt, aber seit ihrer einzigen Auseinandersetzung im Januar war er ihm nicht mehr begegnet.
    Er war selbst über die Wut verblüfft, die auf einmal durch seinen Körper rauschte. Er ballte die Hände zu Fäusten. Er brauchte einen kühlen Kopf, kein impulsives Verlangen nach Rache. Doch plötzlich schien ihm die Lichtung zu klein, und es war, als umringten ihn die glatten Stämme der Buchen immer enger.
    Er stolperte über eine freiliegende Wurzel und wäre fast gestürzt.
    »Ruhig Blut, Vernier«, murmelte Gabignaud.
    Anatole sammelte seine Gedanken und beobachtete, wie Denarnaud zu Constant und seinen Leuten ging. Pascal folgte ihm und trug den Pistolenkoffer in beiden Armen wie einen Kindersarg.
    Die Sekundanten begrüßten einander förmlich, verneigten sich kurz und knapp und gingen dann auf die Lichtung. Anatole spürte Constants kalte Augen auf sich, die ihn bohrend, stechend wie ein Pfeil fixierten. Ihm fiel außerdem auf, dass der Mann krank aussah.
    Als die Männer die Mitte der Lichtung erreicht hatten, unweit der Stelle, wo Pascal am Vortag den notdürftigen Schießstand aufgebaut hatte, begannen sie, den Abstand abzuschreiten, aus dem die beiden Duellanten aufeinander schießen würden. Pascal und Constants Diener trieben zwei Gehstöcke in die Erde, um die Positionen zu markieren.
    »Wie halten Sie sich?«, fragt Gabignaud halblaut. »Soll ich Ihnen etwas …«
    »Nein«, sagte Anatole rasch. »Ich brauche nichts.«
    Denarnaud kam zurück. »Ich bedaure, aber wir haben den Münzwurf um die Pistolen verloren.« Er schlug Anatole auf die Schultern. »Das macht keinen Unterschied, ganz bestimmt nicht. Die sichere Hand zählt, nicht der Pistolenlauf.«
    Anatole fühlte sich wie ein Schlafwandler. Alles um ihn herum schien gedämpft, als ob es jemand anderem passieren würde. Er wusste, er sollte beunruhigt sein, weil er die Pistolen seines Widersachers benutzen musste, aber er war innerlich taub.
    Die beiden

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