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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Gruppen bewegten sich aufeinander zu.
    Denarnaud zog Anatole den Mantel aus. Constants Sekundant tat das Gleiche bei ihm. Anatole beobachtete, wie Denarnaud demonstrativ Constants Rocktaschen abklopfte, seine Westentaschen, um sich zu vergewissern, dass er keine anderen Waffen am Körper trug, kein Notizbuch, keine dicken Papiere, die als Schutz dienen könnten.
    Denarnaud nickte. »Alles korrekt.«
    Anatole hob die Arme, während Constants Mann mit den Händen über seinen Körper fuhr, um auch ihn auf versteckte Vorsichtsmaßnahmen hin abzusuchen. Er spürte, wie ihm die Uhr aus der Tasche gezogen und von der Kette gelöst wurde.
    »Neue Uhr, Monsieur? Sogar mit Monogramm. Hübsche Arbeit.«
    Er erkannte die heisere Stimme wieder. Es war derselbe Mann, der ihm bei dem Überfall in Paris die Taschenuhr seines Vaters gestohlen hatte. Er ballte die Fäuste, um sich davon abzuhalten, den Mann auf der Stelle niederzuschlagen.
    »Lass die Finger davon«, knurrte er drohend.
    Der Mann blickte zu seinem Herrn hinüber, zuckte dann die Achseln und wandte sich ab.
    Anatole merkte, dass Denarnaud ihn am Ellbogen fasste und zu einem der beiden Gehstöcke führte. »Vernier, das ist Ihre Position.«
    Ich darf ihn nicht verfehlen.
    Man reichte ihm eine Pistole. Sie war kalt und schwer in seiner Hand. Eine viel schönere Waffe als die seines Onkels. Der lange Lauf schimmerte, und Constants goldenes Monogramm war in den Griff eingeprägt.
    Anatole hatte das Gefühl, als schaue er aus großer Höhe auf sich selbst hinunter. Er konnte einen Mann sehen, der ihm sehr ähnelte, das gleiche rabenschwarze Haar, der gleiche Schnurrbart, das Gesicht blass und die Nase von der Kälte gerötet.
    Ihm gegenüber, in etlichen Schritten Entfernung, konnte er den Mann sehen, der ganz so aussah wie der Mann, der ihn von Paris bis in den Midi verfolgt hatte.
    Jetzt ertönte eine Stimme wie aus der Ferne. Unvermittelt, widersinnig schnell, sollte die Sache ein Ende haben.
    »Sind Sie bereit, Messieurs?«
    Anatole nickte. Constant nickte.
    »Jeder hat einen Schuss.«
    Anatole hob den Arm. Constant ebenfalls.
    Dann wieder dieselbe Stimme. »Feuer.«
    Anatole nahm nichts mehr wahr, sah nichts, hörte nichts, roch nichts. Er erlebte ein völliges Fehlen jeglicher Empfindung. Er meinte, nichts getan zu haben, und doch reagierten die Muskeln in seinem Arm, sein Finger betätigte den Abzug, und es ertönte ein Klacken, als der gespannte Hahn nach vorne schnellte. Er sah das Pulver in der Pfanne aufflammen und eine Rauchwolke in die Luft steigen. Zwei Schüsse hallten über die Lichtung. Die Vögel flatterten aus den Wipfeln der umstehenden Bäume auf, schlugen panisch mit den Flügeln, um wegzukommen.
    Alle Luft wich aus Anatoles Lunge. Die Beine knickten unter ihm weg. Er fiel, schlug mit den Knien auf dem Boden auf, dachte an Isolde und Léonie, und dann breitete sich Wärme über seine Brust aus, wie die wohltuende Entspannung eines heißen Bades, die über seinen kalten Körper strömte.
    »Ist er getroffen?« Gabignauds Stimme, vielleicht. Oder auch nicht.
    Um ihn herum sammelten sich dunkle Gestalten, die er nicht mehr als Gabignaud oder Denarnaud erkennen konnte, nur noch als einen Wald aus schwarzen und graugestreiften Hosenbeinen, Hände in dicken Fellhandschuhen, schwere Stiefel. Dann hörte er etwas. Ein wilder Schrei, sein Name, der entsetzt und verzweifelt durch die kalte Luft drang.
    Anatole sank seitlich zu Boden. Er bildete sich ein, Isoldes Stimme zu hören, die ihn rief. Doch fast im selben Moment begriff er, dass auch die anderen das Rufen hören konnten. Die Menge um ihn herum teilte sich und trat so weit zurück, dass er sie unter den Bäumen hervor auf ihn zulaufen sehen konnte, dicht gefolgt von Léonie.
    »Nein. Anatole, nein!«, schrie Isolde. »Nein!«
    Im selben Moment nahm er etwas anderes wahr, ganz am Rande seines Gesichtsfeldes. Sein Blick verdunkelte sich. Er versuchte, sich aufzusetzen, doch ein stechender Schmerz in seiner Seite, wie der Stoß eines Messers, ließ ihn aufkeuchen. Er streckte die Hand aus, hatte aber keine Kraft und merkte, wie er wieder zurückfiel.
    Nun verlangsamte sich alle Bewegung. Anatole begriff, was geschehen würde. Zuerst wollten seine Augen es nicht glauben. Denarnaud hatte doch sichergestellt, dass die Regeln des Duells eingehalten wurden. Nur ein Schuss, ein einziger Schuss. Und dennoch sah er, wie Constant die Duellpistole zu Boden fallen ließ, in seine Jacke griff und eine zweite Waffe

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