Die achte Karte
Damentäschchen entworfen worden war. Ihre Mutter besaß so eine.
Er hatte noch mehrere Schüsse.
Léonie war angewidert von sich selbst, von den zarten Koseworten, die er ihr in ihrer Vorstellung ins Ohr geflüstert hatte. Davon, wie sie seine Aufmerksamkeit förmlich ermuntert hatte – ohne Sittsamkeit oder Sorge um ihren guten Ruf.
Und ich habe ihn zu den beiden geführt.
Sie zwang sich, die Nerven zu behalten. Sie hob das Kinn und sah ihm direkt in die Augen.
»Monsieur Constant«, sagte sie, sein Name wie Gift auf ihrer Zunge.
»Mademoiselle Vernier«, erwiderte er, die Waffe noch immer auf Gabignaud und Pascal gerichtet. »Was für ein unerwartetes Vergnügen. Ich hätte nicht gedacht, dass Vernier Ihnen eine so hässliche Szene zumutet.«
Ihre Augen huschten zu der Stelle, wo Anatole auf dem Boden lag, dann wieder zu Constant.
»Ich bin aus freien Stücken hier«, sagte sie.
Constant machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Sein Diener trat vor, gefolgt von dem dreckigen Soldaten, in dem Léonie dieselbe Kreatur erkannte, die ihr mit unverschämtem Blick gefolgt war, als sie die mittelalterliche Cité von Carcassonne betreten hatte. Voller Verzweiflung begriff sie Constants perfide durchdachten Plan.
Die beiden Männer packten Gabignaud und rissen ihm die Arme auf den Rücken, wobei seine Lampe zu Boden fiel. Léonie hörte das Glas zerspringen, und die Flamme erlosch mit einem Zischen im feuchten Laub. Dann, noch ehe sie begriff, was geschah, zog der größere der beiden Männer eine Pistole unter seinem Mantel hervor, hielt sie Gabignaud an die Stirn und drückte ab.
Die Wucht des Schusses hob Gabignaud regelrecht in die Luft. Sein Hinterkopf zerplatzte, und Blut und Knochensplitter regneten auf seine beiden Henker herab. Er sackte zu Boden, der Körper bebte und zuckte kurz, blieb dann still liegen.
Wie schnell es geht, einen Menschen zu töten, Seele und Körper auseinanderzureißen.
Der Gedanke war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Léonie schlug die Hände vors Gesicht, merkte, wie ihr Galle in den Mund stieg, beugte sich vor und übergab sich.
Aus den Augenwinkeln sah sie Pascal einen kleinen Schritt rückwärts machen, dann noch einen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er fliehen wollte – sie hatte noch nie an seiner Treue und Ergebenheit gezweifelt –, aber was mochte er sonst vorhaben?
Dann fing er ihren Blick auf und schaute nach unten, um ihr seine Absicht zu signalisieren.
Léonie richtete sich auf und fixierte Charles Denarnaud. »Monsieur«, sagte sie laut, und prompt richteten alle Augen sich auf sie, »ich stelle erstaunt fest, dass Sie mit diesem Mann gemeinsame Sache machen. Sie werden sich verantworten müssen, wenn Ihr doppeltes Spiel bekannt wird.«
Er blickte herablassend. »Durch wen denn, Mademoiselle Vernier? Wir sind hier ganz unter uns.«
»Halten Sie den Mund«, befahl Constant.
»Ist Ihnen Ihre Schwester, Ihre Familie wirklich so gleichgültig«, sagte Léonie herausfordernd, »dass Sie eine solche Schande über sie bringen?«
Denarnaud klopfte auf seine Tasche. »Geld spricht eine deutlichere Sprache.«
»Denarnaud,
ça suffit!
«
Als Leonie erneut zu Constant hinüberblickte, fiel ihr zum ersten Mal auf, wie ihm der Kopf zitterte, als hätte er Schwierigkeiten, seine Bewegungen zu kontrollieren.
Doch dann sah sie Anatoles Fuß auf dem Boden zucken.
Lebte er noch? War das möglich? Erleichterung stieg in ihr auf und wurde sogleich von nackter Angst verdrängt. Falls er wirklich noch am Leben war, würde er das nur so lange bleiben, wie Constant ihn für tot hielt.
Inzwischen war es richtig dunkel geworden. Die Lampe des Arztes war zwar erloschen, doch die übrigen Laternen warfen ungleichmäßige gelbe Lichtkreise auf den Boden.
Léonie zwang sich, einen Schritt auf den Mann zuzugehen, den lieben zu können sie geglaubt hatte.
»Ist es das wert, Monsieur? Sich selbst der Verdammnis auszuliefern? Und aus welchem Grund? Eifersucht? Rache? Denn Ehre kann es gewiss nicht sein.« Sie machte einen weiteren Schritt, diesmal ein wenig seitlich, um Pascal hoffentlich Deckung zu geben. »Lassen Sie mich meinen Bruder versorgen. Und Isolde.«
Jetzt war sie nah genug, um die Verachtung in Constants Gesicht zu erkennen. Sie konnte nicht glauben, seine Züge je für distinguiert und nobel gehalten zu haben. Seine Niedertracht schien so offensichtlich, sein Mund grausam und seine Pupillen bloße Nadelköpfe in den verbitterten
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