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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Augen. Er ekelte sie an.
    »Es steht Ihnen wohl kaum zu, Befehle zu erteilen, Mademoiselle Vernier.« Er wandte den Kopf in die Richtung, wo Isolde eingehüllt in ihren Umhang lag. »Und die Hure. Ein einziger Schuss war zu gut für sie. Ich hätte mir gewünscht, dass sie so leidet, wie sie mich hat leiden lassen.«
    Léonie sah ihm offen in die blauen Augen. »Sie ist jetzt unerreichbar für Sie«, log sie, ohne zu zögern.
    »Sie werden mir verzeihen, Mademoiselle Vernier, wenn ich mich da nicht auf Ihr Wort verlasse. Außerdem sehe ich nicht eine Träne auf Ihren Wangen.« Er blickte kurz zu Gabignauds Leichnam hinüber. »Sie haben starke Nerven, aber für so hartherzig halte ich Sie nicht.«
    Er hielt kurz inne, als bereite er sich darauf vor, ihr den Gnadenstoß zu geben.
    Léonie spürte, wie sich ihr ganzer Körper anspannte, auf den Schuss wartete, der jeden Augenblick kommen musste. Sie wusste, dass Pascal fast so weit war, und es kostete sie ihre ganze Willenskraft, nicht in seine Richtung zu schauen.
    »Tatsächlich«, sagte Constant, »erinnert mich Ihr Charakter sehr an Ihre Mutter.«
    Alles verharrte, als hielte die Welt den Atem an. Weiße Wolken, Kälte in der Abendluft, das Flüstern des Windes in den kahlen Zweigen der Bäume, das Rascheln der Wacholderbüsche. Endlich fand Léonie die Sprache wieder.
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte sie. Jedes Wort schien wie Blei in die kalte Luft zu fallen.
    Sie konnte seine Genugtuung spüren. Sie wehte von ihm herüber wie der Gestank von einer Gerberei, beißend, ätzend.
    »Wissen Sie noch immer nicht, was Ihrer Mutter zugestoßen ist?«
    »Was soll das heißen?«
    »Die Sache war in Paris in aller Munde«, sagte Constant. »Wie ich hörte, einer der schlimmsten Morde, mit denen sich die prosaischen Gendarmenköpfe des achten Arrondissements je befassen mussten.«
    Léonie fuhr zurück, als hätte er sie geohrfeigt. »Sie ist tot?«
    Ihre Zähne begannen zu klappern. Die Häme seines Schweigens verriet ihr, dass er die Wahrheit gesagt hatte, doch ihr Verstand weigerte sich, es zu akzeptieren. Denn sonst würde sie taumeln und zusammenbrechen. Und die ganze Zeit über wurden Isolde und Anatole schwächer und schwächer.
    »Ich glaube Ihnen nicht«, brachte sie schließlich heraus.
    »O doch, das tun Sie, Mademoiselle Vernier. Ich sehe es in Ihrem Gesicht.« Er ließ den Arm sinken, hielt die Waffe einen Moment auf den Boden gerichtet. Sie machte einen Schritt rückwärts. Sie spürte, dass Denarnaud hinter ihr näher kam, ihr den Weg versperrte. Vor ihr kam Constant jetzt mit raschen Schritten auf sie zu. Dann sah sie aus den Augenwinkeln, wie Pascal in die Hocke ging und die unbenutzten Pistolen aus dem Koffer riss, den sie vom Haus mitgebracht hatten.
    »
Attention!«,
rief er ihr zu.
    Léonie reagierte instinktiv und warf sich im selben Moment zu Boden, als auch schon der Schuss krachte.
    Denarnaud fiel, in den Rücken getroffen.
    Constant schoss sofort zurück, verfehlte sein Ziel aber in der Dunkelheit. Léonie konnte hören, wie Pascal durchs Unterholz lief, und begriff, dass er versuchte, hinter Constant zu gelangen.
    Constant bellte einen Befehl, und der alte Soldat kam auf Léonie zu, die noch immer am Boden lag. Der andere Mann lief zum Rand der Lichtung, suchte nach Pascal, feuerte wahllos.
    »Hier ist er!«, rief er seinem Herrn zu.
    Constant schoss erneut. Wieder ging der Schuss daneben.
    Plötzlich erbebte der Boden vom Klang laufender Füße. Léonie hob den Kopf in die Richtung des Geräuschs und hörte Rufe.
    »Arèst!«
    Sie erkannte Marietas Stimme, die durch die Dunkelheit gellte, und vernahm auch noch andere. Sie kniff die Augen zusammen und sah nun den Schein vieler Laternen, die näher kamen, größer wurden, durch die Dunkelheit tanzten. Dann stürmte Emile, der Sohn des Gärtners, von der anderen Seite auf die Lichtung. Er hielt eine lodernde Fackel in der einen Hand und einen Knüppel in der anderen.
    Léonie sah, wie Constant die Lage abschätzte. Er schoss auf den Jungen, doch der war schneller und duckte sich hinter eine Buche. Constants Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, als er die Waffe herumschwenkte und zwei Kugeln in Anatoles Oberkörper jagte.
    Léonie schrie auf. »Nein!«, kreischte sie und kroch verzweifelt auf allen vieren zu der Stelle hinüber, wo ihr Bruder lag. »Nein!«
    Die Dienstboten, mit Marieta insgesamt acht, stürmten vor.
    Constant zögerte nicht länger. Er warf seinen Mantel über die Schulter

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