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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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und eilte über die Lichtung in den Schatten zu seiner Kutsche, die abfahrbereit auf ihn wartete.
    »Keine Zeugen«, sagte er knapp.
    Wortlos drehte sich sein Diener um und schoss dem alten Soldaten eine Kugel in den Kopf. Einen Moment lang war das Gesicht des Sterbenden in einem Ausdruck der Verwunderung erstarrt. Dann knickten seine Knie ein, und er fiel nach vorne.
    Pascal trat aus dem Schatten und feuerte die zweite Pistole ab. Léonie sah Constant stolpern, seine Beine gaben fast unter ihm nach, doch dann ging er humpelnd weiter und erreichte die Kutsche. Über den Tumult und das Chaos hinweg hörte sie, wie der Verschlag zuknallte, das Rasseln des Pferdegeschirrs und das Klappern der Lampen, als die Kutsche bergauf im Wald verschwand, in Richtung rückwärtiges Tor.
    Marieta war bereits an Isoldes Seite. Léonie spürte, wie Pascal zu ihr gelaufen kam und neben ihr auf die Knie sank. Ein Schluchzen entrang sich ihr. Sie rappelte sich auf und stolperte die letzten paar Meter zu ihrem Bruder hinüber.
    »Anatole?«, flüsterte sie. Sie legte den Arm um seine breiten Schultern, schüttelte ihn, versuchte, ihn zu wecken. »Anatole, bitte.«
    Die Stille schien noch tiefer zu werden.
    Léonie packte den festen Stoff von Anatoles Jacke und drehte ihren Bruder herum. Sie schnappte nach Luft. So viel Blut, große Lachen auf dem Boden, wo er gelegen hatte, die Löcher in seinem Körper, wo die Kugeln eingedrungen waren. Sie wiegte seinen Kopf in ihren Armen und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Seine braunen Augen standen weit offen, doch das Leben darin war erloschen.

Kapitel 83
    ∞
    N ach Constants Flucht leerte sich die Lichtung schnell.
    Mit Pascals Hilfe führte Marieta die halb ohnmächtige Isolde zu Denarnauds Kutsche, um sie zurück zum Haus zu fahren. Die Wunde an ihrem Arm war zwar nicht lebensbedrohlich, aber sie hatte viel Blut verloren. Léonie sprach sie an, doch Isolde antwortete nicht. Sie ließ sich wegführen, schien aber niemanden wahrzunehmen, nichts zu erkennen. Sie war noch in der Welt, aber zugleich aus ihr entrückt.
    Léonie fror und zitterte, ihre Haare und ihre Kleidung waren durchtränkt mit dem Geruch von Blut und Schießpulver und feuchter Erde, doch sie weigerte sich, von Anatoles Seite zu weichen. Der Gärtnerjunge und einige Stallknechte bauten eine Trage aus ihren Jacken und den Holzgriffen der Waffen, mit denen sie Constant und seine Männer vertrieben hatten. Ihre Fackeln loderten hell in der kalten schwarzen Luft, als sie Anatoles Leichnam auf den Schultern zurück zum Anwesen trugen. Léonie folgte ihnen, eine einsame Trauernde bei einem unangekündigten Leichenzug.
    Hinter ihnen wurde Dr. Gabignaud weggetragen. Die Leichen des alten Soldaten und des Verräters Denarnaud würden später mit dem Einspänner abgeholt werden.
    Als Léonie das Haus erreichte, hatte sich die Nachricht von der Tragödie, die die Domaine de la Cade heimgesucht hatte, bereits herumgesprochen. Pascal hatte einen Boten nach Rennes-le-Château entsandt, der Bérenger Saunière von der Katastrophe unterrichten und ihn um sein Kommen bitten sollte. Marieta hatte jemanden nach Rennes-les-Bains geschickt, um die Frau aus dem Ort zu holen, die sich darauf verstand, Sterbenden in ihren letzten Stunden beizustehen und Tote aufzubahren.
    Madame Saint-Loup traf in Begleitung eines kleinen Jungen ein, der eine Baumwolltasche trug, die doppelt so groß war wie er selbst. Als Léonie zur Besinnung kam und die Frau fragte, wie viel ihre Dienste kosteten, erwiderte die, dass ihr Nachbar, Monsieur Baillard, sie bereits bezahlt habe. Seine mitfühlende Freundlichkeit trieb Léonie Tränen in die brennenden Augen.
    Die Leichname wurden in das Speisezimmer getragen. In stummer Fassungslosigkeit sah Léonie zu, wie Madame Saint-Loup eine Porzellanschale mit Wasser aus einer Glasflasche füllte, die sie mitgebracht hatte.
    »Heiliges Wasser, Madomaisèla«, murmelte sie als Antwort auf Léonies unausgesprochene Frage. Sie tauchte einen Buchsbaumzweig hinein, entzündete zwei parfümierte Kerzen, eine für jeden, und begann, die Totengebete zu sprechen. Der Junge neigte den Kopf.
    »Peyre Sant,
Heiliger Vater, nimm Deinen Diener …«
    Als die Worte über sie hinwegspülten, eine Mischung aus alten und neuen Traditionen, empfand Léonie nichts. Es gab keinen Augenblick der Gnade, die sich von oben herabsenkte, kein Gefühl des Friedens bei Anatoles Hinscheiden, kein Licht, das ihre Seele erhellte und sie in eine göttliche

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