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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ihr Studium aufzunehmen.
    An der UNC studierte Meredith mit großem Ehrgeiz und machte ihren Abschluss magna cum laude. In den Ferien spielte sie nach wie vor Klavier, und sie unterrichtete die Kinder von Bills und Marys Bekannten, aber mehr auch nicht. Die Geige blieb, wo sie war, ganz hinten im Schrank.
    In der ganzen Zeit hatte sie niemals gedacht, das Falsche getan zu haben.
    Doch als sie in den letzten Jahren die ersten winzig kleinen Verbindungen zu ihrer leiblichen Familie entdeckte, hatte sie sich zum ersten Mal gefragt, ob ihre Entscheidung damals richtig gewesen war. Und nun, wo sie mit achtundzwanzig Jahren im großen Saal des Palais Garnier saß, spürte sie, wie die Trauer um das, was hätte sein können, ihr Herz wie mit eiserner Faust umklammerte.
    Die Musik hörte auf. Unten im Orchestergraben lachte jemand.
    Die Gegenwart holte sie schlagartig wieder ein. Meredith stand auf. Sie seufzte und strich sich das Haar aus dem Gesicht, drehte sich dann leise um und ging hinaus. Sie war auf der Suche nach Debussy in die Oper gekommen. Doch gefunden hatte sie nur ihre eigenen Geister.
     
    Draußen war die Sonne inzwischen warm.
    Meredith, die versuchte, ihre melancholische Stimmung abzuschütteln, ging um die Oper herum und dann die Rue Scribe hinab. Sie wollte zum Boulevard Haussmann und von dort zum Conservatoire im 8 . Arrondissement.
    Auf dem Bürgersteig herrschte geschäftiges Treiben. Ganz Paris schien auf den Beinen zu sein, um den herrlichen Tag zu genießen, und Meredith musste immer wieder dichten Menschentrauben ausweichen, um weiterzukommen. Es herrschte Volksfeststimmung. An einer Ecke trällerte ein Straßensänger; Studenten verteilten Reklamezettel für Rabattmenüs oder Lagerverkäufe von Designerklamotten. Ein Jongleur vollführte Kunststücke mit einem Diabolo, das er auf einem zwischen zwei Stöcken gespannten Seil balancierte, unwahrscheinlich hoch in die Luft schleuderte und dann mit einer fließenden Bewegung wieder auffing; ein junger Bursche verkaufte Armbanduhren und Schmuck aus einem Koffer.
    Ihr Handy klingelte. Meredith blieb stehen und wühlte in ihrer Handtasche. Eine Frau direkt hinter ihr schob ihr einen Kinderwagen gegen die Waden.
    »Excusez-moi, Madame.«
    Meredith hob entschuldigend die Hand.
»Non, non. C’est moi. Désolée.«
    Als sie ihr Handy endlich fand, hatte das Klingeln aufgehört. Sie trat zur Seite und sah in der Liste mit Anrufen in Abwesenheit nach. Es war eine französische Nummer, die ihr vage bekannt vorkam. Sie wollte gerade RÜCKRUF drücken, als ihr jemand eine Broschüre in die Hand drückte.
    »C’est vous, n’est-ce pas?«
    Verblüfft blickte Meredith auf. »Wie bitte?«
    Eine hübsche Jugendliche musterte sie mit wachem Blick. Sie trug ein ärmelloses Shirt und eine Cargohose, hatte ihre rotblonden Rastazöpfe mit einem bunten Tuch zurückgebunden und sah aus wie eine der vielen New-Age-Touristen und Hippies auf den Straßen von Paris.
    Das Mädchen lächelte. »Ich hab gesagt, sie sieht aus wie Sie.« Dabei tippte sie auf das Faltblatt in Merediths Hand. »Das Bild vorne drauf.«
    Meredith schaute nach unten. Sie hielt eine Werbung für Tarotkartenlegen, Handlesen und parapsychologische Beratung in der Hand, und auf dem Titelblatt war das Bild einer Frau mit einer Krone auf dem Kopf. In der rechten Hand hielt sie ein Schwert, in der linken eine Waage. Den Saum ihres langen Kleides zierte eine Reihe von Noten.
    »Ehrlich«, sagte das Mädchen, »das könnten Sie sein.«
    Am oberen Rand des unscharfen Bildes konnte Meredith so eben die römische Ziffer  XI erkennen. Am unteren Rand die Worte »La Justice«. Sie sah genauer hin. Es stimmte. Die Frau sah ihr irgendwie ähnlich.
    »Finde ich eigentlich nicht«, sagte sie, errötete aber bei der Lüge. »Außerdem reise ich morgen ab, daher …«
    »Behalten Sie’s trotzdem«, sagte das Mädchen. »Wir haben sieben Tage die Woche geöffnet, und wir sind gleich um die Ecke. Zu Fuß fünf Minuten von hier.«
    »Danke, aber ich halte nichts von so was«, sagte Meredith.
    »Meine Mutter ist sehr gut.«
    »Mutter?«
    »Sie legt die Tarotkarten.« Die Jugendliche lächelte. »Interpretiert die Karten. Sie sollten hingehen.«
    Meredith öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Es war sinnlos, sich auf eine Diskussion einzulassen. Sie würde das Faltblatt einfach mitnehmen und später wegwerfen. Mit einem gezwungenen Lächeln schob sie es in die Innentasche ihrer Jeansjacke.
    »So was wie Zufall gibt

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